Kündigung

Alkoholsucht rechtfertigt keine Kündigung

17. September 2015

Auch bei mehreren unentschuldigten Fehltagen rechtfertigt die Alkoholsucht eines Beschäftigten nicht automatisch eine Kündigung. Gerade im Falle eines sehr langjährigen Mitarbeiters könne dessen Interesse am Erhalt des Arbeitsplatzes den Kündigungswunsch des Arbeitgebers überwiegen, so das Landesarbeitsgericht (LAG) Rheinland-Pfalz.

Ein Lagerarbeiter war seit 23 Jahren beim selben Arbeitgeber beschäftigt und verdiente sein Geld zuletzt als Staplerfahrer.

Nachdem er mehrmals unentschuldigt gefehlt und so den Betriebsablauf gestört hatte, weil Kollegen seine Aufgaben übernehmen mussten und es zu Verzögerungen im Betriebsablauf gekommen war, erhielt der Mann mehrere Abmahnungen. Am 10.12.2013 sprach der Arbeitgeber eine letztmalige Abmahnung aus, es folgte die Kündigung am 12.5.2014.

Anlass der Kündigung war schließlich ein erneutes Fernbleiben von der Arbeit am 2.5.2014. Allerdings begründete der Staplerfahrer dies damit, dass er irrtümlich angenommen hatte, an diesem Tag frei zu haben.

Kündigung ist nicht sozial gerechtfertigt

Das LAG Rheinland-Pfalz gab der Kündigungsschutzklage des Mannes statt. Zwar habe der Mitarbeiter am 7.6.2013 unentschuldigt gefehlt und habe aus diesem Grund eine Abmahnung erhalten. Sein unentschuldigtes Fehlen vom 4.10.2013 sowie vom 8.11. bis 20.11.2013 habe der Arbeitgeber dagegen nicht zum Anlass für den Ausspruch einer verhaltensbedingten Kündigung genommen, sondern den Kläger mit Schreiben vom 11.11.2013 erneut und letztmalig abgemahnt.

Trotz des unentschuldigten Fehlens vom 2. Mai 2014 überwiegt laut LAG »das Interesse des Klägers an der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses gegenüber demjenigen der Beklagten an der Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Selbst wenn an sich ein geeigneter Grund zur Rechtfertigung einer Kündigung vorliegt, kann eine hierauf gestützte Kündigung das Arbeitsverhältnis gleichwohl nur dann beenden, wenn sich bei einer umfassenden Interessenabwägung ergibt, dass das Beendigungsinteresse des Arbeitgebers im Verhältnis zum Bestandschutzinteresse des Arbeitnehmers überwiegt.«

Interessenabwägung spricht für den Gekündigten

Genau diese Interessenabwägung fiel allerdings zugunsten des Gekündigten aus. Denn trotz der Störungen der betrieblichen Abläufe, die der Kläger aufgrund seines Fehlens verursacht hatte, ging das LAG davon aus, dass der Mitarbeiter nachvollziehbare Gründe für sein Fernbeleiben vorgetragen hatte.

Neben der langen und weitestgehend beanstandungslosen Beschäftigungszeit berücksichtigte das Gericht, dass »das unentschuldigte Fehlen am 4.10.2013 wie auch das in der Zeit vom 8. bis 21.11.2013 in zeitlichem Zusammenhang mit dem Tod seiner Schwester am 1.10.2013 und nachfolgenden stationären Krankenhausaufenthalten standen.« Auch die beiden Klinikaufenthalte zwecks Entzugs, die jeweils auf längere Fehlzeiten folgten, berücksichtigte das Gericht zugunsten des Klägers.

Hinsichtlich des letzten Fehltages vor der Kündigung stellte das Gericht fest, dass ohne das Vorliegen weiterer Anhaltspunkte nicht davon ausgegangen werden könne, dass es sich bei dem Vorliegen eines Irrtums lediglich um eine Schutzbehauptung des Klägers gehandelt habe.

Alkoholsucht ist kein Kündigungsgrund

Wichtig: Für die Beurteilung des Kündigungsschutzantrags war es unerheblich, ob der Kläger alkoholsüchtig ist und seiner Sucht ein medizinischer Krankheitswert zukommt. »Die Kündigung ist sowohl in dem Fall, dass der unentschuldigte Fehltag am 2. Mai 2014 dem Kläger vorwerfbar ist, als auch in dem Fall, dass dieser Fehltag seine Ursache in einer krankhaften Alkoholabhängigkeit des Klägers hat, nach Auffassung der Kammer sozial nicht gerechtfertigt«, heißt es in den Entscheidungsgründen.

Verhaltensbedingte oder krankheitsbedingte Kündigung?

Das Gericht stellt dabei klar, dass bei Vorliegen einer Alkoholsucht nie eine verhaltensbedingte Kündigung in Frage kommt, sondern immer eine krankheitsbedingte. Denn das Fehlverhalten, mit dem der Arbeitnehmer gegen seine vertraglichen Pflichten verstoße, sei in diesem Fall nicht vorwerfbar, also nicht schuldhaft. Es sei vielmehr auf das Krankheitsbild zurückzuführen. Aber selbst dann ist die Alkoholsucht nur ein Kündigungsgrund, wenn betriebliche Interessen beeinträchtigt sind – kommt der Arbeitnehmer nüchtern zur Arbeit und kann seine Pflichten als Staplerfahrer erfüllen und ergibt auch die Zukunftsprognose, dass sich daran nichts ändern wird, scheidet die Krankheit als Kündigungsgrund aus.

Quelle:

LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 05.05.2015
Aktenzeichen: 7 Sa 641/14
Rechtsprechungsdatenbank Rheinland-Pfalz
© bund-verlag.de (mst)

Hinweis der Redaktion:
Bitte beachten Sie auch: »Entgeltfortzahlung auch für Alkoholkranke«, BAG, Urteil vom 18.03.2015 - 10 AZR 99/14 (AiB-Meldung v. 19.03.2015) .

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