Aufgeweichter Arbeitsschutz

28. November 2016
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Eine neue Arbeitsstättenverordnung sollte bereits Ende 2014 in Kraft treten. Dann blockierte die Arbeitgeberseite die Neuregelung und pochte auf Nachbesserung. Jetzt liegt ein Ergebnis vor. Im Interview mit der Zeitschrift »Der Personalrat« 11/2016 spricht Dr. Horst Riesenberg-Mordeja, Referent für Arbeits- und Gesundheitsschutz bei ver.di, über die Stärken und Schwächen der Verordnung.

Nach einer knapp zweijährigen Zwangspause wurde die neue Arbeitsstättenverordnung (ArbStättV) am 23. September vom Bundesrat beschlossen – mit zahlreichen Änderungen im Vergleich zum ersten Entwurf des Bundesministeriums für Arbeit. ver.di-Arbeitsschutzexperte Dr. Horst Riesenberg-Mordeja ist nicht mit allen Neuerungen zufrieden.

Warum ist eine Neuregelung dringend nötig?

Die Neuregelung der Arbeitsstättenverordnung ist nötig, um eine Harmonisierung mit dem Arbeitsschutzgesetz zu erreichen. Andere Verordnungen aus diesem Themenbereich sind bereits modernisiert, bei den Arbeitsstätten war es jetzt an der Zeit, denn diese Verordnung ist ein wesentlicher Bestandteil der Gefährdungsbeurteilung. Hierbei werden psychische Gefährdungen integriert und können durch technische Regeln untersetzt werden. Ein Skandal ist es allerdings aus meiner Sicht, dass die Arbeitgeberseite die Neuregelung fast zwei Jahre lang blockieren konnte und dann plötzlich ein neuer Entwurf hervorgezaubert wird. Das kommt einem Vetorecht der Arbeitgeber gleich. Die Tageslichtregelung wurde beispielsweise von einer Muss- zu einer Sollvorschrift und mit weiteren Ausnahmen aufgeweicht. Es ist sehr ärgerlich, dass hier für Pausenräume, Kantinen, Teeküchen, Anm. d. Red.), insbesondere bei Neubauten, keine deutlich höheren Anforderungen gelten. Arbeitswissenschaftlich betrachtet steht fest, dass Tageslicht ein wichtiger Faktor des Gesundheitsschutzes ist.

Welche Neuerungen stellen aus Ihrer Sicht eine Verbesserung dar?

Es ist wirklich begrüßenswert, dass die Integration von Telearbeitsplätzen vorgenommen wurde. Das ist nichts Revolutionäres, aber sachlogisch. Verordnungen haben in der Regel auch einen Ordnungswidrigkeiten-Katalog – den gab es bisher fürs Home-Office nicht. Jetzt müssen Arbeitgeber auf die Einhaltung der Vorgaben achten und den Arbeitsplatz auf Sicherheitsaspekte prüfen – allerdings nur erstmalig bei der Einrichtung. Dabei ist die Gefährdungsbeurteilung ein wichtiges Instrument des Arbeitsschutzes. Es ist für mich nicht nachvollziehbar, warum bei Telearbeitsplätzen eine Ausnahme gelten soll und eine andere Beurteilung als beim Arbeitsplatz vor Ort im Betrieb.

Womit wir bereits bei den nicht so gelungenen Regelungen des Reformentwurfs wären! Leider ist auch die Unterweisung in den Arbeitsplatz als verpflichtende Maßnahme abgeschwächt und die Dokumentationspflicht hierbei komplett entfallen. Das wäre bei Haftungsfragen von Vorteil und im Bereich der Mitbestimmung dringend erforderlich gewesen. So schwächt die Verordnung ihre eigenen Vollzugs- und Kontrollmöglichkeiten.

Wo sehen Sie außerdem Nachbesserungsbedarf?

Das Thema mobile Arbeit wurde bisher noch nicht angepackt. Damit meine ich nicht Telearbeit im klassischen Sinne, sondern Arbeiten von unterwegs, beispielsweise im Zug. Die Entwicklung geht dahin, dass Arbeit vom klassischen Arbeitsplatz hin zu mobilen Anwendungen verlagert wird. Hier besteht ein Regulierungsbedarf zum Schutz der Arbeitnehmer. Weiteren Nachholbedarf sehe ich im Bereich der Barrierefreiheit. Zwar gibt es im Entwurf auch Vorgaben für Bereitschaftsräume, allerdings haben die Regelungen einen Haken: Arbeitgeber müssen erst tätig werden, wenn bereits Menschen mit Behinderung eingestellt sind. Sinnvoller wäre es, Maßnahmen zur Barrierefreiheit vorher zu treffen, um die Einstellungschancen für Menschen mit Behinderung zu erhöhen. Mit Blick auf das Thema Inklusion müssten bei der Neueinrichtung von Arbeitsstätten endlich höhere Anforderungen gestellt werden.

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Der Interviewpartner:

Dr. Horst Riesenberg-Mordeja, Referent für Arbeits- und Gesundheitsschutz bei ver.di. U.a. Mitglied in staatlichen Ausschüssen/Unterausschüssen des BMAS.

© bund-verlag.de (mst)

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