Insolvenz

Checkliste zum Insolvenzgeld

04. März 2016
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Quelle: © Sailorr / Foto Dollar Club

Es kann jeden treffen: Das Unternehmen geht Pleite und kann keinen Arbeitslohn mehr zahlen. Und jetzt? Beschäftigte können bei der Arbeitsagentur Insolvenzgeld beantragen. Aber wann bekommt ein Arbeitnehmer diese Zahlung? Hier eine Checkliste von Wilhelm Bichlmeier, Mitherausgeber unseres »Insolvenzhandbuchs für die Praxis«.

Wann haben Arbeitnehmer Anspruch auf Insolvenzgeld und was bedeutet das?

Arbeitnehmer können von der Arbeitsagentur Zahlung von Insolvenzgeld für Arbeitsentgeltforderungen verlangen, die der Arbeitgeber in den letzten drei Monaten des Arbeitsverhältnisses vor der Insolvenzeröffnung oder vor einem der beiden anderen Insolvenzereignisse nach § 165 Abs. 1 Satz 1 SGB III nicht mehr begleichen konnte. Die Finanzierung des Insolvenzgelds erfolgt durch eine Umlage nur unter Arbeitgebern.

Checkliste:

A. Anspruchsberechtigte Voraussetzung ist ein inländisches Beschäftigungsverhältnis. B. Insolventer Arbeitgeber Voraussetzung des Insolvenzgeldanspruchs ist stets die Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers. C. Insolvenzereignis Arbeitnehmer haben Anspruch auf Insolvenzgeld, wenn sie in folgenden 3 Fällen (Insolvenzereignisse) für die vorausgehenden drei Monate des Arbeitsverhältnisses noch Ansprüche auf Arbeitsentgelt haben. (1) Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Arbeitgebers (2) Abweisung des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse (3) Vollständige Beendigung der Betriebstätigkeit im Inland D. Antragstellung und Fristen Insolvenzgeld kann nur auf Antrag gewährt werden. I. Antrag Der Insolvenzgeldantrag wird nicht von der Agentur für Arbeit des Wohnsitzes, sondern von der Agentur für Arbeit bearbeitet, in deren Bezirk die für den Arbeitgeber zuständige Lohnabrechnungsstelle liegt . Bei größeren Insolvenzen ist es üblich, dass ein Mitarbeiter der Agentur für Arbeit in den Betrieb kommt. II. Fristen für die Antragstellung Das Insolvenzgeld ist innerhalb einer Ausschlussfrist von zwei Monaten nach dem Insolvenzereignis zu beantragen. Insolvenzereignis ist der Eröffnungsbeschluss, der Abweisungsbeschluss oder die Einstellung der Betriebstätigkeit mangels Masse. E. Höhe des Insolvenzgeldanspruchs I. Gesicherter Nettoverdienst Der Umfang des Insolvenzgeldanspruchs wird danach bestimmt, welche Entgeltbestandteile überhaupt insolvenzgeldfähiges Arbeitsentgelt sind, außerdem entsprechend der Begrenzung auf das Netto und der Deckelung durch die Beitragsbemessungsgrenze sowie der Beschränkung durch Einreden und Einwendungen gegen den Entgelt- bzw. Insolvenzgeldanspruch.

1. Gesicherte Entgeltbestandteile

Zum Arbeitsentgelt im Sinne des § 165 Abs. 1 SGB III zählen z.B.

Lohn (Zeit- oder Akkordlohn, Lohn für Überstunden, Sonntags-, Feiertags- und Nachtarbeit), Gehalt, Entgeltfortzahlung im Krankheitsfalle, Gefahren-, Wege- und Schmutzzulagen, Auslösungen, Kleidergelder, Kostgelder, vermögenswirksame Leistungen, Gewinnanteile (Tantiemen), Zielvereinbarungsvergütung (auch wenn die Vereinbarung ohne Verschulden des ArbGeb nicht zustande kommt), Deputate und andere Naturalbezüge (z.B. freie Kost), Urlaubsentgelte, Urlaubsgelder, Urlaubsabgeltungen, Gratifikationen, Jubiläumszuwendungen, Lohnausgleich im Baugewerbe, Zuschüsse zum Krankengeld, Zuschüsse zum Mutterschaftsgeld, Arbeitgeberzuschüsse zum Krankenversicherungsbeitrag, Reisekosten (einschl. Kilometergelder für die Benutzung des eigenen Pkw für Geschäftsfahrten), Fahrgeldentschädigungen für Fahrten von der Wohnung zur Arbeitsstelle, steuerfreie Fehlgeldentschädigungen (Mankogelder), Werkzeuggelder, Provisionen (sofern diese Leistungen dem Insolvenzgeldzeitraum zuzuordnen sind), ferner Arbeitnehmererfindervergütungen und Verbesserungsvorschlagsprämien. Zum Arbeitsentgelt bei Altersteilzeit gehört auch der Aufstockungsbetrag sowohl in der Arbeits- als auch in der Freistellungsphase.

Auch Annahmeverzugsentgeltansprüche und Schadensersatzansprüche mit Entgeltersatzfunktion zählen zum gesicherten Entgelt. Auch Befreiungsansprüche des AN gegen den ArbGeb gem. § 257 BGB analog wegen betrieblich veranlasster Schadensersatzansprüche Dritter gehören dazu. Bei unwirksamem Leiharbeitsverhältnis gehören dazu in der Insolvenz des Verleihers auch die Schadensersatzansprüche aus §§ 10 Abs. 2, 3 AÜG; der Leih-AN muss nicht vorrangig den Entleiher nach § 10 Abs. 1 AÜG in Anspruch nehmen. Kein Arbeitsentgelt im Sinne des § 165 Abs. 1 SGB III sind:
  • Abfindungen, Karenzentschädigungen aus einer Wettbewerbsabrede, Betriebsrenten, Nebenforderungen wie z.B. Verzugszinsen, Kosten für den Insolvenzantrag, Gerichtskosten.
Bei Kurzarbeit besteht ein Anspruch auf Insolvenzgeld in Höhe des gekürzten Arbeitsentgelts (ohne Kurzarbeitergeld). Auch während des InsgZeitr. kann zusätzlich ein Anspruch auf Kug bestehen, wenn die Voraussetzungen hierfür weiterhin vorliegen, d. h. solange Aussicht auf Erhaltung der Arbeitsplätze besteht. Wird eine Betriebsvereinbarung über die Kurzarbeit im InsgZeitr. außerordentlich ohne Nachwirkung gekündigt und wird damit die Kurzarbeit beendet, besteht ab diesem Zeitpunkt Anspruch auf Insolvenzgeld in Höhe des ungekürzten Arbeitsentgelts, d. h. ohne Berücksichtigung der beendeten Kurzarbeit.

2. Nettoentgelt, nach oben begrenzt durch die Beitragsbemessungsgrenze

Nach § 167 Abs. 1 SGB III wird das Insolvenzgeld in Höhe des Nettoarbeitsentgelts geleistet, allerdings nur bis zum Netto-Entgelt, das sich auf Grundlage der Beitragsbemessungsgrenze (BBG) der gesetzlichen Renten- und Arbeitslosenversicherung errechnet. II. Steuern und Sozialversicherung Nach § 32 b EStG unterliegt das steuerfreie Insolvenzgeld im Rahmen des Lohnsteuerjahresausgleichs oder bei der Einkommensteuerveranlagung dem sog. Progressionsvorbehalt. Das bedeutet, dass bei der Berechnung der Einkommenssteuer das während des Kalenderjahres »zugeflossene« Arbeitsentgelt dem Steuersatz unterworfen wird, der sich bei Einbeziehung des Insolvenzgelds in die Besteuerung ergeben würde. III. Zuordnung der arbeitsrechtlichen Ansprüche zum Insolvenzgeldzeitraum Durch das Insolvenzgeld gesichert sind nur solche Ansprüche, die dem Insolvenzgeldzeitraum zuzuordnen sind, die »für diesen Zeitraum« bestehen. Dabei sind die Anspruchsausschlüsse nach § 166 SGB III zu beachten.

1. Insolvenzgeldzeitraum

Der Zeitraum für Ansprüche auf Insolvenzgeld umfasst die letzten dem Insolvenzereignis, hier vor allem der Insolvenzeröffnung, vorausgehenden drei Monate des Arbeitsverhältnisses.

2. Zuordnung zum Insolvenzgeldzeitraum und Anspruchsausschluss nach § 166 SGB III

Bei der zeitlichen Zuordnung des Arbeitsentgelts zum Insolvenzgeldzeitraumkommt es nicht darauf an, wann die Ansprüche fällig sind (Teil 3, Rn. 6, 7, 19), sondern regelmäßig darauf, für welchen Zeitraum sie erarbeitet wurden.51 Stundungen, die die Fälligkeit in den Insolvenzgeldzeitraum verlagern, werden also nicht berücksichtigt. Gemäß dem Anspruchsausschluss laut § 166 Abs. 1 Nr. 1 SGB III besteht kein Anspruch auf Insolvenzgeld für Zahlungsansprüche, die wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses entstanden sind. F. Vorschuss Nach § 168 SGB III kann (Ermessen!) die Agentur für Arbeit ausnahmsweise einen Vorschuss auf das Insolvenzgeld zahlen, auch wenn das Insolvenzverfahren noch nicht eröffnet wurde, wenn

  • die Insolvenzeröffnung beantragt ist und
  • das Arbeitsverhältnis beendet ist und

  • die Voraussetzungen für den Anspruch auf Insolvenzgeld mit hinreichender
  • Wahrscheinlichkeit erfüllt werden.
G. Die Vorfinanzierung des Insolvenzgeldes, § 170 SGB III – eine wichtige Aufgabe des vorläufigen Insolvenzverwalters. Der Anspruch auf die Gewährung von Insolvenzgeld ist in den §§ 165ff. SGB III geregelt. Es wird in Höhe des Nettoarbeitsentgelts gezahlt. Die über der Beitragsbemessungsgrenze liegenden Entgeltansprüche sind nicht insolvenzgeldfähig.

Insolvenzgeld wird für die letzten drei Monate des AV gewährt, wenn eines der drei folgenden Insolvenzereignisse eintritt:

Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen des ArbGeb, Abweisung eines Insolvenzantrages mangels Masse oder vollständige Beendigung der Betriebstätigkeit, wenn ein Antrag auf Insolvenzeröffnung nicht gestellt worden ist und ein Insolvenzverfahren offensichtlich mangels Masse nicht in Betracht kommt.

Der Zahlungsanspruch gegen die Agentur für Arbeit entsteht also erst nach Eintritt eines Insolvenzereignisses. Ohne weitere Regelung würde dies bedeuten, dass AN trotz Ausbleibens der Gehaltszahlungen bis dahin kein Insolvenzgeld erhalten. Bei Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen kann die Agentur für Arbeit aber einen Vorschuss auf das Insolvenzgeld leisten, wenn das AV beendet ist.

Bei einer Fortführung des schuldnerischen Geschäftsbetriebs kommt der Regelung deswegen keine große Bedeutung zu. Besteht das AV fort, kommt nach Stellung eines Insolvenzantrags aber auch eine Vorfinanzierung des Insolvenzgeldes durch eine Bank in Betracht. Ist eine Fortführung des Geschäftsbetriebs zumindest möglich, wird sich der vorläufige Insolvenzverwalter in der Regel um eine solche Vorfinanzierung bemühen, um eine Sanierungschance zu wahren und insbesondere ein Abspringen gut qualifizierter AN zu verhindern. In der Regel wird die Insolvenzgeldvorfinanzierung daher vom vorläufigen Verwalter organisiert.

Im Falle der Vorfinanzierung kauft die vorfinanzierende Bank die Forderungen des AN auf (rückständiges) Nettoarbeitsentgelt aus dem Insolvenzgeldzeitraum (maximal aus einem Bruttoentgelt in Höhe der Beitragsbemessungsgrenze, § 167 Abs. 1 SGB III) und zahlt hierfür einen Kaufpreis in gleicher Höhe (§§ 453 Abs. 1, 433 BGB). Zugleich tritt der AN in Erfüllung dieses Kaufvertrags seine Ansprüche gegen den ArbGeb an die Bank ab. Die Bank ist damit Inhaberin des Gehaltsanspruchs. Nach Insolvenzeröffnung erhält die Bank bei der zuständigen Arbeitsagentur auf Antrag das Insolvenzgeld ausbezahlt. Gem. § 169 SGB III geht der Gehaltsanspruch dann mit Antragstellung auf die Agentur über. Da die Entgeltansprüche aus der Zeit vor Insolvenzeröffnung herrühren, handelt es sich aber (lediglich) um Insolvenzforderungen.

Die Vorfinanzierung des Insolvenzgeldes ermöglicht damit eine Betriebsfortführung, ohne dass für bis zu drei Monate Arbeitsentgelte aus der Masse bezahlt werden müssen. Später schlagen diese Kosten nur als Insolvenzforderungen zu Buche.

Die Bank erwirbt nur dann den Insolvenzgeldanspruch des AN, wenn die Agentur für Arbeit der Forderungsübertragung zugestimmt hat. Diese stimmt der Vorfinanzierung zu, »wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass durch die Vorfinanzierung der Arbeitsentgelte ein erheblicher Teil der Arbeitsstellen erhalten bleibt« (§ 170 Abs. 4 Satz 2 SGB III).

Der Antragsteller (das ist die vorfinanzierende Bank, die sich hierbei regelmäßig durch das Unternehmen bzw. den vorläufigen Insolvenzverwalter vertreten lässt) muss gegenüber der Agentur für Arbeit glaubhaft machen, dass die Erhaltung eines erheblichen Teils der Arbeitsplätze überwiegend wahrscheinlich ist. Die Vorfinanzierung durch die Bank ist natürlich mit Kosten verbunden. Wirtschaftlich handelt es sich um einen Kredit. Die Bank will dafür Zinsen, Kostenersatz und eine Absicherung u. a. gegen das Risiko, dass die Agentur für Arbeit nicht oder nur teilweise bezahlt. Die Haftung hierfür übernimmt die Insolvenzmasse. Dazu ist erforderlich, dass das Insolvenzgericht den vorläufigen Verwalter zur Begründung von Masseverbindlichkeiten in einem entsprechenden Umfang nach § 21 Abs. 1 InsO ermächtigt. Dies bei dem Gericht anzuregen, ist Aufgabe des vorläufigen Verwalters.

Quelle:

Interview mit Wilhelm Bichlmeier, Mitherausgeber des Insolvenzhandbuchs für die Praxis.
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