Harte Nüsse für die digitale Arbeit

Mehr als ein Schlagwort: Arbeit 4.0 beschleunigt Prozesse der Produktion, der technischen Innovationen und der Verfahren in Betrieben und Dienststellen. Arbeit wird internationaler, mobiler und entgrenzter – u.a. durch ständige Erreichbarkeit. Projekte werden verstärkt in Teams bearbeitet und entwickelt, die eigenverantwortlich ihre Arbeitsfortschritte managen. Der Druck durch Termine und Kundenwünsche steigt.
Arbeitsschutzdebatte nimmt an Fahrt auf
Wie gesundheitsförderliche Arbeit in der digitalen Wirtschaft gestaltet werden kann, ist eine drängende Frage des Arbeits- und Gesundheitsschutzes. Im Titelthema »Fit für die digitale Arbeit« greift die Zeitschrift »Gute Arbeit« 9/2016 das Thema in mehreren Beiträgen auf. Eva Welskop-Deffaa (Mitglied im ver.di-Bundesvorstand) formuliert dazu mehrere Thesen. Sie propagiert praktische Schritte, die schon heute in den Betrieben angegangen werden können, um den Arbeitsschutz auf die Anforderungen der „Arbeitswelt 4.0“ auszurichten.
1. Unterweisungen gehören ins Zentrum des modernen Arbeitsschutzes
»Der Arbeitgeber hat die Beschäftigten über Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit (...) ausreichend und angemessen zu unterweisen« – lautet § 12 des Arbeitsschutzgesetzes (ArbSchG). Und: „Die Unterweisung muss an die Gefährdungsentwicklung angepasst sein (…)“. Unmissverständlich fordert der Gesetzgeber: Ein paar technische Schutzmaßnahmen reichen nicht aus. Die Information der Beschäftigten über (neue) Gefährdungen, eine gute Kommunikationskultur, nimmt eine zentrale Rolle ein. Und der Gesetzgeber verweist darauf, dass sich eine Gefährdung bereits durch fehlende oder mangelhafte Unterweisungen ergeben kann. Heutzutage gilt mehr denn je: Die Beschäftigten müssen befähigt werden, Risiken ihres Arbeitsalltags selbst zu sehen und die möglichen Schutzmaßnahmen zu kennen – etwa Pausenkultur, Arbeitszeitrecht und Ruhephasen, Bildschirmarbeit mit Pausen und Bewegung zwischendurch. Zumal sich ein größerer Teil der Erwerbsarbeit 4.0 außerhalb von Büros und Fertigungshallen vollzieht. Unterweisung muss Empowerment sein: Beschäftigte zur Selbstorganisation befähigen, und zwar unter Beachtung der gesundheitsförderlichen Arbeitsgestaltung – im Betrieb und unterwegs bei Mobilarbeit.
2. Arbeitsschutz an schutzbedürftigen Personengruppen orientieren
Arbeitsschutz darf sich nicht an den fitten, jüngeren Arbeitskräften ausrichten. Das Beachten von Gefährdungen für besonders schutzbedürftige Beschäftigtengruppen – wie Jugendliche, Menschen mit Behinderungen, Schwangere oder ältere Beschäftigte - ist ein allgemeiner Grundsatz des ArbSchG (nach § 4 ArbSchG). Wird dies im betrieblichen Alltag konsequenter und flächendeckend umgesetzt, steigt die Qualität des Arbeitsschutzes in der Breite, alle Beschäftigten profitieren davon. Die novellierte Arbeitsstättenverordnung, die noch immer auf Eis liegt, hat diesen Gedanken aufgegriffen und konkretisiert – insbesondere in Hinblick auf Behinderungen. Diesen Ansatz gilt es weiter zu verfolgen.
3. Arbeitsbedingungen in den Fokus nehmen, nicht Arbeitsverhältnisse
Auch das Recht muss modernisiert werden: Das Arbeitsschutzgesetz hebt in erster Linie ab auf den Betrieb als Arbeitsort und auf Normalarbeitsverhältnisse ab. Das entspricht der Arbeitswirklichkeit der 1980er Jahre. Solo-Selbständigkeit, Werkverträge, Crowdworker, Mobilarbeit – das sind heute gängige Formen der vertraglichen Arbeitsleistung - und selten an einen Arbeitsort gebunden. In Bezug auf die Aufklärung über Gesundheitsschutz und Gefährdungen bei der Arbeit darf es keinen Unterschied machen, ob eine Fußpflegerin als Angestellte des Altenheims arbeitet oder ob sie als Selbstständige mit dem Altenheim einen Servicevertrag abschließt. Arbeitgeber dürfen sich durch Umwandlung von Arbeits- in Dienstleistungsverträge nicht von allen Arbeitsschutz- und Informationspflichten entbinden.
4. Arbeitszeitgesetz - eine starke Ergänzungsnorm im Arbeitsschutz
Die Einhaltung gesetzlicher Arbeitszeiten und Schutzvorschriften braucht neue Instrumente. Mit der Abmeldung an der Stechuhr ist es nicht getan. Ständige Erreichbarkeit verwischt Grenzen zwischen Freizeit und Arbeitszeit. Ein Recht auf »Nicht-Erreichbarkeit« sowie auf Erfassung von allen Arbeitszeiten (unter Beachtung des Arbeitszeitgesetzes) kann in Betriebs- und Dienstvereinbarungen angegangen werden. Aber auch der Gesetzgeber muss handeln. Weitere Informationen
Der ausführliche Beitrag mit fünf Thesen zum Arbeitsschutz 4.0 in der Zeitschrift »Gute Arbeit« 9/2016 (S. 8ff). Im Titelthema außerdem lesen: Zwei Tarifverträge (TV) rollen den Arbeitsschutz 4.0 neu auf: TV Belastungsschutz der Telekom (ab S. 13 ff) und TV Personalbemessung an der Berliner Charité (ab S. 17 ff).
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