Frauenquoten

Noch keine Gleichstellung in den Chefsesseln

22. April 2016
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Quelle: © Nick Freund / Foto Dollar Club

Seit Jahresanfang müssen die größten mitbestimmten Unternehmen in Deutschland ihren Aufsichtsräten einen Frauenanteil von mindestens 30 Prozent einhalten. Noch weit mehr Firmen haben sich verbindliche Ziele für den Frauenanteil in Aufsichtsrat und Top-Management zu setzen. Dass dies nur sehr schleppend geschieht, sieht jetzt auch eine arbeitgebernahe Beratung kritisch.


Vor einem Jahr hat der Deutsche Bundestag das »Gesetz für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an Führungspositionen in der Privatwirtschaft und im öffentlichen Dienst«, kurz FührposGleichberG, verabschiedet.

Aber funktioniert die Vorgabe auch in der Praxis, dass rund 100 große paritätisch mitbestimmte Unternehmen 30 Prozent der Sitze in ihren Aufsichtsräten mit Frauen besetzen? Und schaffen es 3500 weitere börsennotierte Unternehmen, sich verbindliche Zielvorgaben für einen höheren Frauenanteil nicht nur im Aufsichtsrat, sondern sogar im gesamten höheren Management zu geben?

Denn das sind die Erwartungen, die das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) und eine parteübergreifende Mehrheit an das Gesetz geknüpft haben.

FidAR: Der »große Ruck« ist bisher ausgeblieben

Ein Jahr nach Verabschiedung des Gesetzes ist der »große Ruck« in den Chefetagen deutscher Unternehmen ausgeblieben; so könnte ein erster Befund lauten. Bisher setzten noch zu wenige Unternehmen ein gutes Beispiel, um eine echte Trendwende herbeizuführen, sagte Monika Schulz-Strelow, Präsidentin von » FidAR – Frauen in die Aufsichtsräte« e. V. anlässlich des Internationalen Frauentags am 8.03.2016.

Die Initiative FiDAR hat sich zum Ziel gesetzt, den Frauenanteil in den Aufsichtsräten und auch in der Leitung deutscher Unternehmen zu erhöhen. Sie begleitet und dokumentiert die Bemühungen der Unternehmen bei der Förderung von Frauen in Aufsichtsräten und im Spitzenmanagement.

Kritik von Unternehmensstrategen

Auch die Unternehmensberatungen verfolgen, wie die börsennotierten Unternehmen in Deutschland mit den Vorgaben umgehen. Die Unternehmensberatung strategy&, die zum Beratungskonzern PricewaterhouseCoopers (PwC) gehört, analysiert jährlich in einer »CEO-Sucess«-Studie die Wechsel in den Chefetagen der weltweit 2500 größten Unternehmen. Davon sind 300 im deutschsprachigen Raum ansässig.

Nach ihrer jüngsten Auswertung war zwar die Fluktuation bei den Führungskräften, insbesondere in der Finanzwirtschaft, im Vorjahr durchaus hoch. Aber nur in zwei Prozent der freigewordenen Positionen würden aber Frauen berufen. Weibliche CEOs,(Abkürzung für chief executive officers) blieben in Spitzenunternehmen eine Seltenheit.

Unternehmen verschenken Vorteile

Dass die »Diversity«, also das Bekenntnis zur Vielfalt, bei den Geschlechtern nur auf dem Papier besteht, sehen die Experten kritisch: »Während die deutschen Konzerne bei der Besetzung der Aufsichtsräte die gesetzlich geforderte Frauenquote teilweise bereits heute übererfüllen, bleiben sie auf Vorstands- und CEO-Ebene offensichtlich deutlich hinter ihren Möglichkeiten«, findet Dr. Peter Gassmann, Sprecher von Strategy&.

Diese Kurzsichtigkeit bezeichnet der Experte als »äußerst defensive Diversity-Strategie auf Vorstands- und CEO-Ebene«. Damit provozierten die Konzerne geradezu eine weitergehende staatliche Regulierung und verschenkten vor allem das enorme strategische Potenzial von gemischten Führungsteams.

Mitbestimmung als Hoffnungsträger

Noch am besten schneiden in puncto Geschlechterverhältnis in Aufsichtsräten die Unternehmen ab, in denen paritätische Mitbestimmung bereits Standard ist: Eine aktuelle Studie der Hans-Böckler-Stiftung (HBS) zeigt, dass Frauen mit einem Anteil von aktuell 22 Prozent in den Aufsichtsräten börsennotierter deutscher Unternehmen immer noch in der Minderheit sind.

Nach Ansicht der HBS-Wirtschaftsexpertin Marion Weckes lässt sich noch nicht sagen, wie schnell und konsequent die Geschlechterquote in den Aufsichtsräten der großen Unternehmen umgesetzt wird. Immerhin bilde die Arbeitnehmermitbestimmung einen belebenden Schrittmacher: In mitbestimmten Aufsichtsräten ist der Frauenanteil rund zehn Prozent höher als Gremien, in denen nur Vertreter der Anteilseigner sitzen.

Hintergrund

Geschlechterquoten für Aufsichtsräte und Management Das »Gesetz für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an Führungspositionen in der Privatwirtschaft und im öffentlichen Dienst« (FührposGleichberG) soll für eine faire Verteilung der wirtschaftlichen Spitzenpositionen zwischen Frauen und Männern sorgen. Das Gesetz ist in drei Regelungsbereiche gegliedert, von denen zwei die Privatwirtschaft betreffen:

  • Vorgabe einer festen Geschlechterquote von 30 Prozent für Aufsichtsräte,
  • Verpflichtung zur Festlegung von Zielgrößen für Aufsichtsräte, Vorstände und oberste Führungsebenen,
  • Neuregelung der Besetzung von Spitzenposten und Gremien im öffentlichen Dienst des Bundes.
Das Gesetz im Volltext

Das Gesetz im Wortlaut: »Gesetz für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an Führungspositionen in der Privatwirtschaft und im öffentlichen Dienst« (FührposGleichberG) beim Bundesministerium der Justiz.

Mindestens 30 Prozent Frauen in großen Aufsichtsräten

Die erste Vorgabe betrifft börsennotierte Unternehmen, die der paritätischen Mitbestimmung nach deutschem Recht unterliegen. In diesen Unternehmen müssen seit Jahresbeginn beide Geschlechter zu mindestens 30 Prozent im Aufsichtsrat vertreten sein. Nach Mitteilung des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) betrifft die Vorgabe derzeit etwa 100 Unternehmen in Deutschland.

Die Quote gilt für Aktiengesellschaften (AG) und Kommanditgesellschaften auf Aktien (KgAA) mit in der Regel mehr als 2000 Arbeitnehmerinnen und Arbeitsnehmern sowie bei Europäischen Aktiengesellschaften (SE), bei denen sich das Aufsichts- oder Verwaltungsorgan aus derselben Zahl von Anteilseigner- und Arbeitnehmervertretern zusammensetzt. Strenge Sanktion: Der Stuhl bleibt leer

Wird die Quote von 30 Prozent eines Geschlechts nicht erreicht, ist die quotenwidrige Wahl oder Entsendung eines Vertreters mit dem falschen Geschlecht in den Aufsichtsrat nichtig. Es droht ein so genannter »leerer Stuhl« im Aufsichtsrat.

Zielgrößen für Frauenanteil in Aufsichtsrat und Vorstand

Rund 3500 weitere Unternehmen in Deutschland müssen nach Einschätzung des BMFSFJ Zielgrößen zur Erhöhung des Frauenanteils in Aufsichtsräten, Vorständen und ihren obersten Management-Ebenen festlegen. Über die Zielgrößen und deren Erreichung müssen die Firmen öffentlich berichten. Auch diese Bestimmungen gelten für Unternehmen in der Rechtsformen der AG, KGAA und GmbH, Genossenschaften und Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit mit in der Regel mehr als 500 Arbeitnehmern.

Pflicht zur Festlegung schon seit Herbst 2015

Eine Mindestzielgröße für den Frauenanteil ist nicht festgelegt. Die Unternehmen können sie selbst setzen und an ihren Strukturen ausrichten. Liegt allerdings der Frauenanteil in einer Führungsebene unter 30 Prozent, so dürfen die Zielgrößen nicht hinter dem tatsächlichen Status quo zurückbleiben. Schon bis zum 30.09.2015 mussten die Unternehmen erstmals Fristen zur Erreichung der Zielgrößen festlegen. Diese dürfen nicht länger als bis zum 30.06.2017 dauern. Die folgenden Fristen dürfen nicht länger als fünf Jahre betragen.

Weiterführende Informationen


  • »Aufsichtsratswahlen - Frauenquote für Aufsichtsräte«, Interview mit dem Bund-Verlags-Fachautor Lasse Pütz, aib-web.de vom 07.12.2015.
  • »Gleichberechtigung: Noch kein großer Ruck«, Initiative Frauen in die Aufsichtsräte (FidAR), Pressemitteilung vom 07.03.2016

  • »Frauen in Führungspositionen: 22 Prozent Frauenanteil in Aufsichtsräten, Regulierungen und Mitbestimmung setzen Impulse«, Hans-Böckler-Stiftung, PM vom 08.03.2016
  • »Volatile Finanzwirtschaft treibt CEO-Fluktuation im deutschsprachigen Raum auf 16,7 %«, Strategy&, Pressemitteilung vom 19.04.2016
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