Bundestagswahl 2017

Parteien-Check zur Bundestagswahl

14. August 2017
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Quelle: © Gina Sanders / Foto Dollar Club

Die Programme der Parteien zur Bundestagswahl sind raus. Was sagen sie zur Mitbestimmung und zur Arbeit der Betriebsräte? Einen kritischen Blick darauf wirft die DGB-Arbeitsrechtsexpertin Helga Nielebock in der »Arbeitsrecht im Betrieb« (AiB) . Sie können den kompletten Beitrag kostenfrei lesen.

Die Wahlprogramme der im Bundestag schon einmal vertretenen Parteien liegen nun endlich vor – was enthalten sie, das für die Arbeit der Betriebsräte von Bedeutung sein könnte und gewerkschaftlichen Forderungen entspricht?

Mitbestimmung

Die Praxis braucht bessere Mitbestimmungsrechte und bessere Absicherung der Akteure bei der Betriebsratswahl, damit wieder mehr Betriebsräte gegründet und die weißen Flecken – Betriebe, in denen keine Betriebsräte vorkommen – deutlich minimiert werden. SPD, Linke und Grüne wollen die Mitbestimmung stärken und erwähnen das mehr oder weniger ausführlich in ihren Programmen. Konkret wollen die Grünen ein Mitbestimmungsrecht für Betriebsräte für Vereinbarungen zu Vereinbarkeitsfragen und bei der Arbeitsmenge.

Die SPD will die Mitbestimmung bei Leiharbeit und Werkvertragsarbeit deutlich ausbauen und ebenso bei IT-Systemen und Software, damit eine Leistungs- und Verhaltenskontrolle effektiver verhindert wird; mehr Mitbestimmung soll es auch durch ein Initiativrecht bei der Einführung von Berufsbildungs- und Weiterbildungsmaßnahmen geben. Bei dem Verfahren zur Betriebsratswahl  soll es weitere Vereinfachungen geben und eine bessere Ahndung von Betriebsratsbehinderungen sowie besserer Schutz von Akteuren für eine Wahl.

Die Linke will zusätzlich ein erzwingbares Mitbestimmungs- und Vetorecht bei der Arbeitsmenge, der Arbeitsorganisation und der Personalbemessung sowie auf alle wirtschaftlichen Fragen bezogen – das gilt insbesondere für Betriebs-, Standortänderungen, Entlassungen sowie die Gestaltung der Tätigkeiten und der Arbeitsbedingungen. Betriebsratslose Betriebe sollen jährlich Mitarbeiterversammlungen durchführen müssen, auf denen die Gewerkschaft auftreten und informieren kann. Der bessere Kündigungsschutz soll für alle Organe der Betriebsverfassung gelten und eine längere Zeitdauer umfassen. Zudem sollen die Freistellungsregelungen für Betriebsräte verbessert werden. Bei Verstößen soll es schärfere Sanktionen gegen Arbeitgeber geben, die Gewerkschafts-Bashing betreiben, die also einen gewerkschaftlichen Organisationsgrad verhindern. Die Bußgelder sollen erhöht und ein zentrales Melderegister für Betriebsrats-Wahlen eingeführt werden. Dagegen sind in den Wahlprogrammen von FDP und CDU hierzu keine Vorschläge zu finden.

Tarifbindung

Der starke Rückgang der Tarifbindung infolge von Tarifflucht, Umstrukturierungen und OT (Ohne Tarifbindung)-Mitgliedschaften der Arbeitgeber erfordert gesetzgeberische Maßnahmen zur Stärkung der Tarifbindung. Die SPD will dafür einen Pakt für anständige Löhne und stärkere Tarifbindung. Sie weiß, dass dazu starke Gewerkschaften Voraussetzung sind. Sie will »den eingeschlagenen Weg der gesetzlichen Privilegierung von Tarifpartnerschaften fortsetzen. Tarifgebundenen Betrieben geben wir mehr Gestaltungsmöglichkeiten als Betrieben ohne Tarifbindung«.

Die CDU will, dass Tarifautonomie, Tarifpartnerschaft und Tarifbindung gestärkt werden.  Konkret sollen »gesetzliche Regelungen so ausgestaltet werden, dass zusätzliche Flexibilität, Spielräume und Experimentierräume für Unternehmen entstehen, für die ein Tarifvertrag gilt oder angewendet wird, oder in denen eine Vereinbarung mit dem Betriebsrat erfolgt.« Das Entgelttransparenzgesetz mit seinen abgestuften Regelungen sei dafür ein gutes Beispiel.

Bewertung: Aus gewerkschaftlicher Sicht sind beide Aussagen kritisch zu bewerten, da dadurch leicht untergesetzliche Regelungen – wie in der Leiharbeit durch Tarifverträge gemeint sein können. Dann würde ein Tarifvertrag das gesetzliche Niveau unterschreiten und verschlechtern können. Das hilft mittelfristig keinem, denn nicht tarifgebundene Arbeitnehmer wären dann besser gestellt als tarifgebundene. Das wird auch weder die Gewerkschaften stärken noch für ihre Arbeit werben. Und um eine stärkere Verbreitung zu erlangen, wird der Gesetzgeber es mit den oben genannten Vorschlägen auch zulassen, dass nicht tarifgebundene Arbeitgeber und Arbeitnehmer den Tarifvertrag übernehmen dürfen. Das führt dann dazu, dass eine ganze Branche an das schlechtere Niveau des Tarifvertrags angeglichen wird – ein wahrhafter Pyrrhussieg – also eine teuer erkaufte Tarifbindung!

Allgemeinverbindlicherklärung und Tariftreueregelungen

SPD und Grüne wollen die Möglichkeit der Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen weiter verbessern und die Voraussetzungen präzisieren. Die SPD will die Rechtssicherheit der Allgemeinverbindlichkeit von Tarifverträgen gegebenenfalls sogar rückwirkend gewährleisten.

Bewertung:

Das ist ebenso wie kollektive Nachwirkung von Tarifverträgen – etwa im Falle der Auslagerung von Betrieben und Betriebsteilen – bis zur Ablösung durch einen neuen Tarifvertrag richtig. Zuzustimmen ist auch der Forderung, dass bei Vergabe öffentlicher Aufträge die Tariftreueregelungen verstärkt werden müssen. Zu begrüßen ist, dass den gewerkschaftlichen Vertrauensleuten ein verlässlicher Schutz gegeben werden soll.

Verbandsklagerecht und Weitergeltung von Tarifverträgen

Sowohl SPD wie Linke wollen ein Verbandsklagerecht für Gewerkschaften zur besseren Durchsetzung der Beschäftigtenrechte. Die Linke will richtigerweise, dass bei Betriebsübergang und Auslagerung die bisherigen Tarifverträge in ihrer jeweils gültigen Fassung unbefristet geschützt bleiben und für Neueintretende gelten. Sie will zudem die Rücknahme des Tarifeinheitsgesetzes und stattdessen die Ausweitung des Streikrechts durch Solidaritätsstreik politische Streiks zur Durchsetzung sozialer Verbesserungen zur Verteidigung von Demokratie und Frieden; sie will den Antistreikparagraf § 160 SGB III streichen – letzteres fordern auch die Gewerkschaften ebenso wie ein Streikrecht für Beschäftigte in Kirchen, Diakonie und Caritas. Das wollen auch die Grünen. FDP und CDU treffen zu diesen Themen keine Aussagen in ihren Wahlprogrammen.

Stärkung von Rechten der Beschäftigten

Der gesetzliche Mindestlohn ist aus gewerkschaftlicher Sicht ein Meilenstein. SPD und  Linke fordern hierzu eine Überprüfung und Streichung der Ausnahmen; die Linke will eine Anhebung auf 12 Euro und danach eine jährliche Anhebung sowie bessere Kontrollen. Die Grünen wollen Änderungen dergestalt, dass die Höhe des Mindestlohns sich nicht nur an der Tarifentwicklung orientiert und die Wissenschaft in der Lohnkommission ein Stimmrecht bekommen sollte. Die CDU meint zum Mindestlohn: »In der Praxis hat sich allerdings gezeigt, dass viele Regelungen zu bürokratisch und wenig alltagstauglich sind. Dies betrifft insbesondere die Landwirtschaft und die Gastronomie sowie weitere Betriebe. Unser erklärtes Ziel ist daher der Abbau unnötiger Bürokratie gleich zu Beginn der neuen Wahlperiode.« Dass dies nicht gewerkschaftlichen Forderungen entspricht, liegt auf der Hand.

Befristungen, Werkverträge, Minijobs

Die Befristungspraxis der Arbeitgeber bei Arbeitsverträgen muss gestoppt werden, damit Menschen ihr Leben planen können. Deshalb fordern SPD, Grüne und Linke zu Recht auch die Abschaffung der sachgrundlosen Befristung im Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG). Bei der Sachgrundbefristung wollen SPD und Linke die Sachgründe einschränken und die Möglichkeit der Kettenbefristung begrenzen, die Linke will zudem Befristungen nur noch für ein Jahr zulassen. Die CDU ist der Auffassung: »Befristete Arbeitsverhältnisse dürfen unbefristete Arbeitsverhältnisse nicht einfach ersetzen. Deshalb werden wir offenkundige Missbräuche abstellen.« Bei der FDP findet sich dazu nichts. In der Großen Koalition konnte bei Werkverträgen nichts Wesentliches erreicht werden, deshalb bleibt aus gewerkschaftlicher Sicht der Schutz vor Missbrauch bei Werkvertragsarbeit ein wichtiges Thema. Das sieht auch die SPD so, sie will den Missbrauch von Werkverträgen bekämpfen; die Linke fordert zur leichteren Feststellung der Arbeitnehmereigenschaft eine Beweislastumkehr, sodass der Arbeitgeber sich rechtfertigen muss. Die Grünen wollen Scheinselbstständigkeit mit rechtssicheren Kriterien unterbinden. Bei FDP und CDU findet sich dazu nichts. Grüne und SPD wollen geringfügige Beschäftigung abbauen, den Missbrauch bekämpfen und Wege von Minijobbern in die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung öffnen, die Linke will sie abschaffen. FDP und CDU wollen sie in größerem Maße zulassen.

Arbeitszeit

Grüne, SPD und Linke wollen, dass Beschäftigte mehr Wahlmöglichkeiten bei ihrer Arbeitszeit, deren Lage und ihrem Arbeitsort erhalten, sofern betriebliche Belange dem nicht entgegenstehen. CDU und FDP sagen dazu nichts. Die FDP will stattdessen der Arbeitgeberforderung folgen und die Abschaffung des Acht-Stunden-Tages mit der täglichen Höchstarbeitszeit von acht beziehungsweise zehn Stunden sowie in den nicht-sicherheitsrelevanten Bereichen die Aufhebung der Elf-Stunden-Ruhezeit. Es soll also dann nur noch eine wöchentliche Höchstarbeitszeit von 48 Stunden festgeschrieben sein. Die CDU will den Tarifvertragsparteien die Abweichung von der täglichen Höchstarbeitszeit und den elf Stunden Ruhezeit ermöglichen. Die Gewerkschaften lehnen das ab. Grüne und SPD sagen dazu nichts, die Linke will die Wochenhöchstarbeitszeit auf 40 Stunden begrenzen.

Befristete Teilzeit mit Rückkehrrecht

Bis auf die FDP wollen alle Parteien die befristete Teilzeit mit Rückkehrrecht auf die ursprüngliche Stundenzahl – allerdings liegen bei den Voraussetzungen die Differenzen: Die CDU will dieses Recht nur ab einer bestimmten Betriebsgröße und nur zur besseren Vereinbarkeit ermöglichen, während Grüne und SPD keine Voraussetzungen daran knüpfen wollen. Letzteres wollen auch die Gewerkschaften und sie setzen sich auch für einen Anspruch aller Beschäftigten ein – unabhängig von der Betriebsgröße. Frauen soll zudem die Aufstockung ihrer Teilzeit erleichtert werden. Dazu sagen alle Parteien nichts.

Arbeit auf Abruf

Bei Arbeit auf Abruf können Beschäftigte kaum gesetzliche Ansprüche auf Urlaubsentgelt und Lohnfortzahlung im Krankheitsfall realisieren. Zudem halten die Arbeitgeber die gesetzlichen Ankündigungsfristen vor einem Einsatz nicht ein. Das führt dazu, dass Beschäftigte sich ständig bereithalten müssen. Die Gewerkschaften wollen das deshalb abschaffen – Linke und SPD wollen das nur »eindämmen«. Die Grünen sehen in ihrem Wahlprogramm vor, dass Arbeit auf Abruf dann nicht mehr möglich ist, wenn die Tätigkeit mit normalen Arbeitsverhältnissen erledigt werden kann. SPD und Linke und Grüne wollen zum Beschäftigtendatenschutz eindeutige Regeln. Es soll klar sein, welche Daten zu welchem Zweck und zu welchen Bedingungen im Unternehmen verarbeitet werden dürfen. FDP und CDU haben dazu keine Forderungen. SPD und Linke wollen Sicherheit für Whistleblower. Die anderen Parteien haben dazu keine Forderungen

Uns bleibt die Wahl

Die programmatischen Forderungen der Parteien im Arbeitsrecht machen deutlich, dass es in jedem Fall Sinn macht, zur Wahl zu gehen und seine Stimme gut einzusetzen.

Die Autorin:

Helga Nielebock,

Leiterin der Abteilung Recht, DGB-Bundesvorstand, Berlin.

 

 

Quelle:

»Arbeitsrecht im Betrieb« 9/2017, S. 43-45 © bund-verlag.de (ls)
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