Arbeitskampf

Warum das Streikurteil des BAG unzumutbar ist

09. August 2016
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Quelle: stockWERK_Dollarphotoclub

Die Gewerkschaft für Flugsicherung muss Schadensersatz zahlen. Der mehrtägige Streik im Februar 2012 sei rechtswidrig gewesen – so das BAG. Einzelne Forderungen der Gewerkschaft hätten noch der Friedenspflicht unterlegen. Für einen Streik müsste aber – so die Richter – die Friedenspflicht bei allen Punkten einer Forderung abgelaufen sein. Warum das unzumutbar ist, erläutert Prof. Dr. Wolfgang Däubler im Interview.

1. Warum war der Streik nach Ansicht des Gerichts rechtswidrig ?

Wolfgang Däubler:

Dem Streik waren lange Verhandlungen vorausgegangen, die schließlich zu einem Schlichtungsverfahren führten. Der Schlichter machte einen Vermittlungsvorschlag, der auch zwei Regelungen aus dem nicht gekündigten Teil des umstrittenen Tarifvertrags aufnahm. Die Arbeitgeberseite lehnte ab, die Gewerkschaft akzeptierte den Vorschlag. Sie proklamierte ihn anschließend sogar als Streikziel, ohne daran zu denken, dass im „Paket“ auch zwei Punkte waren, für die noch Friedenspflicht galt. Für das BAG reichte dies, um den ganzen Streik für rechtswidrig zu erklären. Man bezeichnet das als sog. Rührei-Theorie: Ein verdorbenes Ei macht das ganze Omelett ungenießbar.

2. Was heißt das nun für Gewerkschaften, halten Sie das Streikrisiko noch für zumutbar?

Wolfgang Däubler:

Ein Fehler, wie er hier passiert ist, kann immer vorkommen. Wenn man – wie z. B. im öffentlichen Dienst – komplizierte Tarifwerke hat, muss man erst einige Spezialisten finden, die die ganzen ungekündigten Tarifwerke „durchkämmen“, ob ja nichts drin ist, was mit den Forderungen zusammenhängt oder gar mit ihnen identisch ist. Das ist nicht zumutbar. Die Entscheidung ist auch deshalb zu kritisieren, weil die beiden Punkte gar nicht kontrovers waren. Früher hatte das BAG mal ausgeführt, dass bei „untergeordneten“ Fragen die Rührei-Theorie nicht gelte – warum sollte man dies nicht auch auf unstrittige Fragen beziehen, die wie hier im Grunde zufällig in das Forderungspaket gekommen waren?

3. Was bedeutet das für die Arbeit von Betriebsräten - hat das Urteil Auswirkungen?

Wolfgang Däubler:

Unmittelbare Auswirkungen auf die Betriebsräte gibt es nicht. Diese haben ja kein Streikrecht, so dass dieses auch nicht eingeschränkt werden kann. Betroffen sind allein die Gewerkschaften, die noch vorsichtiger als bisher sein müssen, bevor sie zum Arbeitskampf aufrufen.

4. Hat es solche Verurteilungen schon mal gegeben?

Wolfgang Däubler:

Das BAG hat die Gewerkschaft zum Schadensersatz verurteilt; wie hoch der Schaden ist, muss das Landesarbeitsgericht noch feststellen. Eingeklagt sind 5,2 Mio.; es ist nicht auszuschließen, dass 4 oder 5 Millionen tatsächlich zugesprochen werden. Eine direkte Verurteilung in dieser Höhe hat es bisher nicht gegeben. In den sechziger Jahren wurde die IG Metall mal zum Schadensersatz wegen des schleswig-holsteinischen Metallarbeiterstreiks verurteilt. Das war aber nur ein Feststellungsurteil, aus dem nicht vollstreckt werden konnte. Inhaltlich ging es allerdings um noch mehr, nämlich um ca. 40 Mio. DM, doch kam es nie zu einer Zahlung: Man fand in der nächsten Verhandlungsrunde einen Kompromiss. Ob dies auch hier möglich sein wird, bleibt ungewiss.

Der Interviewpartner:

Dr. Wolfgang Däubler

Professor für Deutsches und Europäisches Arbeitsrecht, Bürgerliches Recht und Wirtschaftsrecht an der Universität Bremen. Mitherausgeber der im Bund Verlag erscheinenden Kommentare zum BetrVG und zum Kündigungsschutzrecht; Autor des Ratgebers „Arbeitsrecht“ und weiterer Buchpublikationen sowie von Beiträgen für die Zeitschriften „Arbeitsrecht im Betrieb“, „Computer und Arbeit“, „Arbeit und Recht“ und „Der Personalrat“.

Lesen Sie hier unsere Meldung zum Streik-Urteil des BAG.

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