EU-Richtlinie

Wie die EU Whistleblowing bedroht

02. Mai 2016
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Quelle: © Sven Hoppe / Foto Dollar Club

Im Kampf gegen Missstände im Betrieb stehen Beschäftigte oft alleine da. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hatte einst im Fall Heinisch ein Urteil zugunsten einer Altenpflegerin gefällt, die Missstände angeprangert hatte. Nun soll eine EU-Richtlinie kommen, sie könnte allerdings Verschlechterungen für Whistleblower und Beschäftigte bringen. Was auf Betriebsräte zukommt, erklärt Dr. Marta Böning vom DGB.


Die EU-Richtlinie zum Schutz »vertraulichen Know-hows und vertraulicher Geschäftsinformation (Geschäftsgeheimnisse) vor rechtswidrigem Erwerb sowie rechtswidriger Nutzung und Offenlegung« soll unfaire Praktiken im Wettbewerb zwischen Unternehmen und die Ausspähung von Konkurrenten und Verwertung dieser Vorteile zum wirtschaftlichen Nutzen unterbinden. Nach der neuen Definition in der EU-Richtlinie können aber jegliche Informationen als Geschäftsgeheimnis geschützt werden.

Was heißt das?


Die europäische Definition eines Geschäftsgeheimnisses, so wie sie nun die neue Richtlinie festlegt ist, ist in der Tat problematisch. Geschäftsgeheimnis ist danach jede Information, die nur einen beschränkten Personenkreis zugängig ist, die geheim ist, und deshalb vom kommerziellen Wert und die Gegenstand der angemessenen Geheimhaltungsmaßnahmen ist. Schaut man sich die Kriterien an – alle drei müssen erfüllt sein – erkennt man, der Arbeitgeber willkürlich jede Angelegenheit zum Geschäftsgeheimnis erklären kann. Und jeder, der ein solches Geschäftsgeheimnis unberechtigterweise nutzt oder offenlegt kann haftbar gemacht werden.

Über die Hälfte wirtschaftskrimineller Taten in Unternehmen wird durch Anzeigen von Beschäftigten aufgedeckt. Was bedeutet diese Richtlinie für Beschäftigte, die Verstöße ihres Unternehmens – wie zum Beispiel Gammelfleisch/ schlechte Pflegebedingungen – öffentlich machen wollen?


Problematisch ist zunächst, dass auf der Grundlage der breiten Definition alle Informationen, auch solche die keinesfalls schutzwürdig sind, als Geschäftsgeheimnis gelten können. Die Richtlinie sieht für Arbeitnehmer die Hinweise über Verstöße nach außen geben eine gewisse Absicherung vor: Ein Gericht muss eine Klage gegen eine/n solche Person ablehnen, soweit er oder sie zur Aufdeckung eines beruflichen oder sonstigen Fehlverhaltens oder einer illegalen Tätigkeit mit der Absicht gehandelt hat, das allgemeine öffentliche Interesse zu schützen. Das bedeutet: Die Beschäftigten, die sich auf diese Ausnahme berufen können, können nicht für den durch die Offenlegung entstandenen Schaden haftbar gemacht werden. Das würde bedeuten, dass die Beschäftigten dann nicht nur mit einer außerordentlichen Kündigung zu rechnen hätten, sondern auch noch mit einem Strafverfahren?

Eher mit einem zivilrechtlichen Verfahren, die Richtlinie regelt umfangreich den zivilrechtlichen Schutz vor Verletzung von Geschäftsgeheimnissen. Was droht also, ist das man auf Schadensersatz verklagt wird. Der Schutz vor Kündigungen oder sonstigen arbeitsrechtlichen Konsequenzen ist aus der Richtlinie gänzlich ausgeklammert – sie hat ja nicht den Schutz der Hinweisgeber, sondern den Schutz der Interessen der Unternehmen Ziel.

Was hat das für Auswirkungen auf die Arbeit der Betriebsräte?


Auch für Betriebsräte bringt die neue Richtlinie Rechtsunsicherheit mit sich: sie unterliegen gem. § 79 BetrVG einer Geheimhaltungspflicht und werden sich zu Recht fragen, welche Information sie risikolos nach außen bringen dürfen. Durch den weit gefassten Begriff der Geschäftsgeheimnisse hat es der Arbeitgeber praktisch in der Hand einer Information den Status eines Geschäftsgeheimnisses zu verleihen. Zwar sieht die Richtlinie ausdrücklich vor, dass Informationen, die Arbeitnehmervertreter bei der Ausübung ihres Rechts auf Information und Anhörung erworben haben, rechtmäßig erworben sind. Sie behalten aber weiterhin den Status eines Geschäftsgeheimnisses. Eine Ausweitung der Geheimhaltungspflicht der Betriebsräte könnte dann die Folge sein.

Wann tritt die Richtlinie in Kraft und wie sieht der weitere Gang des Verfahrens aus?


Die Richtlinie muss noch vom Rat angenommen werden. Sie tritt in Kraft am zwanzigsten Tag nach ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union. Danach haben die Mitgliedstaaten 24 Monate um sie ins nationale Recht umzusetzen

Die Interviewpartnerin:

Dr. Marta Böning

Referatsleiterin Individualarbeitsrecht und angrenzende Rechtsgebiete in der Abteilung Recht des DGB-Bundesvorstands; ehrenamtliche Richterin am Arbeitsgericht Berlin

 

Das Interview führte Eva-Maria Stoppkotte, Redakteurin der »Arbeitsrecht im Betrieb« (AiB).

© bund-verlag.de (ls)

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