Leiharbeit

Wieder eine Mogelpackung

23. November 2015

Der Gesetzentwurf gegen Missbrauch von Leiharbeit und Werkvertrag liegt vor. Die Leiharbeit wird auf 18 Monate begrenzt. Beim Werkvertrag erhalten Betriebsräte Informationsrechte. Doch insgesamt enttäuscht das Gesetz auf ganzer Linie. Warum das so ist, erläutert unser Experte Jürgen Ulber.

Der neu vorgestellte Entwurf zur Reform von Leiharbeit und Werkverträgen von Andrea Nahles (SPD) hat viel Tadel bekommen. Auch Jürgen Ulber, Jurist und Autor des Bund-Verlags, sieht viele Kritikpunkte. Die Begrenzung der Dauer der Leiharbeit auf 18 Monate ist nur auf den ersten Blick eine Verbesserung. Faktisch erlaubt das neue Gesetz, dass der Arbeitgeber durch das Besetzen eines Leiharbeitsplatzes mit wechselnden Leiharbeitnehmern dauerhaft einen Leiharbeitsplatz schafft. Keinen Schritt weiter ist das Gesetz bei den Mitbestimmungsrechten. Die Details des Gesetzes finden Sie am Ende des Interviews.

1. AiB: Enthält der neue Gesetzentwurf Regelungen, die den Missbrauch von Leiharbeit und Werkverträgen eindämmen können?

Jürgen Ulber:

Ein wesentliches Problem der Arbeitnehmerüberlassung besteht in der Diskriminierung von Leiharbeitnehmern beim Arbeitsentgelt. Ebenso problematisch ist die Möglichkeit, tariflich gesicherte Stammarbeitsplätze durch den Einsatz von Leiharbeitnehmern zu zerstören. Nach dem Entwurf bleiben die »Schlecker-Praktiken«, die im Ergebnis den Ersatz aller Stamm- durch Leiharbeitnehmer ermöglichen, weiter zulässig. Geändert wurde zwar, dass der Leiharbeitnehmer nach einer neunmonatigen Beschäftigung bei einem Entleiher einen Anspruch auf gleichen Lohn hat wie ein Stammarbeiter. Das betrifft nach den statistischen Daten der Bundesagentur für Arbeit aber allenfalls ein Viertel der Leiharbeitnehmer.

Hinzu kommt, dass die Verleiher den Gleichbehandlungsanspruch umgehen können, wenn sie den Leiharbeitnehmer am Ende der Neunmonatsfrist durch einen anderen Leiharbeitnehmer austauschen. Der Missbrauch der Leiharbeit wird durch den Entwurf nicht eingedämmt. Beim Missbrauch des Werkvertrags ist aber eine Änderung zu begrüßen: Ein als Werkvertrag bezeichneter Vertrag, der aber tatsächlich eine verdeckte Arbeitnehmerüberlassung ist, stellt zukünftig eine illegale Arbeitnehmerüberlassung dar. Das hat zur Folge, dass ein Arbeitsverhältnis mit dem Einsatzbetrieb zustande kommt. Im Übrigen bleibt der Entwurf jedoch weit hinter den Erfordernissen einer Gesetzesänderung zurück. Dies gilt besonders hinsichtlich der fehlenden Mitbestimmungsrechte beim Einsatz von Arbeitnehmern auf dienst- oder werkvertraglicher Grundlage. Hier wird lediglich die bisherige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts übernommen.

2. AiB: Die Einsatzdauer für Leiharbeiter wird auf 18 Monate begrenzt. Doch sind Ausnahmen durch Tarifvertrag möglich. Sehen Sie das als Problem an?

Jürgen Ulber:

Die Begrenzung auf 18 Monate ohne Angabe von Gründen für eine Befristung ist zu lang. Das entscheidende Problem ist aber, dass diese Befristung nur die Dauer des Einsatzes des einzelnen Arbeitnehmers betrifft. Arbeitsplätze beim Entleiher können dagegen durch einen schlichten Austausch dauerhaft mit Leiharbeitnehmern besetzt werden. Die Abweichungsmöglichkeit nur für unmittelbar tarifgebundene Entleiher kann im Enzelfall zu sinnvollen Ergebnissen führen. Allerdings müsste die tarifliche Verlängerung der Überlassungshöchstdauer schon aus unionsrechtlichen Gründen vom Vorliegen sachlicher Gründe abhängig gemacht werden.

3. AiB: Wie könnte der missbräuchlichen Arbeitnehmerüberlassung denn wirksam ein Riegel vorgeschoben werden?

Jürgen Ulber:

Leiharbeit muss auf ihre Funktion zur Deckung eines vorübergehenden Beschäftigungsbedarfs zurückgeführt werden. Dauerhafte Arbeitsplätze der Stammbelegschaft müssen dadurch geschützt werden, dass Leiharbeitnehmer nur bei einem vorübergehenden Beschäftigungsbedarf des Entleihers eingesetzt werden dürfen.

Dem Missbrauch des Werkvertrags kann dadurch begegnet werden, dass der Einsatz von Fremdfirmenbeschäftigten immer dann als Arbeitnehmerüberlassung zu behandeln ist, wenn der Werkvertrag als personalpolitisches Instrument eingesetzt wird oder durch den Werkvertrag bestehende Dauerarbeitsplätze ersetzt werden sollen.

Der Diskriminierung von Leiharbeitnehmern beim Arbeitsentgelt und bei sonstigen wesentlichen Arbeitsbedingungen muss durch eine Gleichstellung mit Stammbeschäftigten ab dem ersten Tag des Einsatzes Rechnung getragen werden. Daneben muss entsprechend den unionsrechtlichen Verpflichtungen festgelegt werden, unter welchen Voraussetzungen der geforderte Gesamtschutz eine Gleichbehandlung bei abweichenden Tarifverträgen gewährleistet.

4. AiB: Beim Werkvertrag soll es nun Informationsrechte geben. Reicht das Ihrer Meinung nach aus für eine sachgemäße Beteiligung des Betriebsrats oder was wünschten Sie sich?

Jürgen Ulber:

Die in den Entwurf aufgenommen Informationsrechte übernehmen nur die Grundsätze, die schon nach bisheriger Rechtsprechung gelten. Sie enthalten weder Mitbestimmungsrechte beim Einsatz von Arbeitnehmern auf dienst- oder werkvertraglicher Grundlage noch gibt es beim Arbeitsschutz oder sonstigen sozialen Angelegenheiten ein Mitbestimmungsrecht. Dem Betriebsrat ist es daher weiterhin verwehrt, den Arbeitgeber zu einer Vermeidung von Missbrauch oder Gesetzesverstößen zu zwingen.

5. AiB: Wie schätzen Sie den Kriterienkatalog ein, mit dem eine Abgrenzung zwischen Arbeitsvertrag und Werkvertrag vorgenommen werden soll – reicht das aus, um den Missbrauch beim Werkvertrag einzudämmen?

Jürgen Ulber:

Der Katalog enthält lediglich die Kriterien, die schon heute in der Rechtsprechung berücksichtigt werden. Die Beweislast bei illegalen Werk- und Dienstverträgen trägt weiterhin der Arbeitnehmer beziehungsweise der Betriebsrat. Auch fehlt eine Vermutungsregelung für illegale Arbeitnehmerüberlassung, wenn der Werkvertrag für dauerhafte Aufgaben oder für die Besetzung bisheriger Dauerarbeitsplätze eingesetzt wird. Kündigungen der Stammbelegschaft mit anschließender Vergabe der Arbeiten im Rahmen von Werk- oder Dienstverträgen müssten durch Präzisierung der Sozialpflichtigkeit des Eigentums ausgeschlossen werden.

6. AiB: Bedeutet der Kriterien-Katalog auch das Ende der »Verleiherlaubnis auf Vorrat«?

Jürgen Ulber:

Neu ist ja, dass ein Arbeitnehmerüberlassungsvertrag immer ausdrücklich als solcher bezeichnet sein muss. Das führt dazu, dass die Erlaubnis den Einsatzbetrieb nicht mehr dagegen schützt, dass bei einem Scheinwerkvertrag gesetzlich ein Arbeitsverhältnis mit dem Fremdfirmenbeschäftigten zustande kommt. Diese Änderung ist also zu begrüßen. Kritisch anzumerken ist jedoch, dass dem einzelnen Arbeitnehmer ein nur zeitlich begrenztes Widerspruchsrecht eingeräumt wird. Ob ein Arbeitnehmer freiwillig auf das Widerspruchsrecht verzichtet, ist angesichts der im Verleihgewerbe vorfindlichen Praxis, sich bei der Einstellung schon eine blanko unterschriebene Kündigungserklärung aushändigen zu lassen, fraglich.

7. AiB: Worin sehen Sie das größte Versäumnis - und den größten Fortschritt gegenüber der aktuellen Rechtslage?

Jürgen Ulber:

Erstaunlich ist, dass der Entwurf – insbesondere bei der konzerninternen und gelegentlichen Arbeitnehmerüberlassung – nicht einmal die bestehenden Defizite bei der Umsetzung der Europäischen Leiharbeitsrichtlinie beseitigt. Vielmehr wird für den Bereich des öffentlichen Dienstes eine weitere richtlinienwidrige Ergänzung in das Gesetz aufgenommen. Das wichtigste Versäumnis ist jedoch, dass der Zerstörung von Dauerarbeitsplätzen – bis hin zur Legalisierung der Praktiken, wie sie bei der Drogerikette Schlecker vorkamen, kein Einhalt geboten wird. Wer auf Grund des Koalitionsvertrags gehofft hatte, dass Leiharbeit auf ihre Funktion als Instrument zur Deckung eines vorübergehenden Beschäftigungsbedarfs zurückgeführt wird, unterlag einem Irrtum. Bewertung insgesamt: wieder eine Mogelpackung!

Die Kernpunkte des Gesetzentwurfs:
  • 1. Leiharbeitnehmer können künftig bis zu einer Überlassungshöchstdauer von 18 Monaten bei einem Entleiher eingesetzt werden. Tarifverträge der Einsatzbranche oder Betriebs- oder Dienstvereinbarungen können abweichende Regelungen enthalten. In tarifgebundenen Unternehmen sind damit längere Einsatzzeiten möglich.
  • 2. Der Equal-Pay-Grundsatz findet sich im Gesetz: Leiharbeitnehmer sollen nach neun Monaten hinsichtlich des Arbeitsentgelts mit den Stammarbeitnehmern beim Entleiher gleichgestellt werden. Regelt ein Tarifvertrag eine stufenweise Heranführung des Arbeitsentgelts an Equal Pay, besteht der Anspruch auf Equal Pay erst nach einer Einsatzdauer von zwölf Monaten.
  • 3. Leiharbeitnehmer dürfen nicht als sogenannte Streikbrecher zum Einsatz kommen.
  • 4. Leiharbeitnehmer zählen bei den für die Mitbestimmung geltenden Schwellenwerten auch beim Entleiher mit, sofern dies der Zielrichtung der jeweiligen Norm nicht widerspricht.
  • 5. § 80 Absatz 2 und § 92 Absatz 1 Satz 1 des Betriebsverfassungsgesetzes (BetrVG) erhalten eine Klarstellung zum bereits bestehenden Informationsrecht des Betriebsrats über den Einsatz von Personen, die nicht im Arbeitsverhältnis zum Arbeitgeber des Betriebs stehen.
  • 6. Die von der Rechtsprechung entwickelten Kriterien zur Abgrenzung von Dienst- oder Werkverträgen zu Arbeitsverträgen werden normiert. Für die Feststellung, ob jemand in eine fremde Arbeitsorganisation eingegliedert ist und Weisungen unterliegt, ist eine wertende Gesamtbetrachtung vorzunehmen. Dafür ist maßgeblich, ob jemand
  • a) nicht frei darin ist, seine Arbeitszeit oder die geschuldete Leistung zu gestalten oder
  • seinen Arbeitsort zu bestimmen,
  • b) die geschuldete Leistung überwiegend in Räumen eines anderen erbringt,
  • c) zur Erbringung der geschuldeten Leistung regelmäßig Mittel eines anderen nutzt,
  • d) die geschuldete Leistung in Zusammenarbeit mit Personen erbringt, die von einem
  • anderen eingesetzt oder beauftragt sind,
  • e) ausschließlich oder überwiegend für einen anderen tätig ist,
  • f) keine eigene betriebliche Organisation unterhält, um die geschuldete Leistung zu
  • erbringen,
  • g) Leistungen erbringt, die nicht auf die Herstellung oder Erreichung eines bestimmten
  • Arbeitsergebnisses oder eines bestimmten Arbeitserfolges gerichtet sind,
  • h) für das Ergebnis seiner Tätigkeit keine Gewähr leistet.

Der Interviewpartner:

Jürgen Ulber:

Volljurist, ehemals im Vorstand der IG Metall tätig.

Das Interview führte Mirko Stepan für die Fachzeitschrift »Arbeitsrecht im Betrieb« .

Mehr lesen:

Leiharbeit – Strengere Regeln für Leiharbeit und Werkvertrag

Buchtipp der Online-Redaktion:

Jürgen Ulber: Leiharbeit – Ratgeber für Betriebsräte und Beschäftigte , 1. Aufl. 2015, Bund-Verlag, ISBN: 978-3-7663-6428-9

© bund-verlag.de (ls)

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