Arbeitszeugnis

Kein Anspruch auf identische Zeugnisse in Projekt-Teams

09. Juni 2020 Arbeitszeugnis
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Quelle: © FM2 / Foto Dollar Club

Die Arbeit in einem Projektteam (Scrum- Methode) führt nicht dazu, dass die teilnehmenden Arbeitnehmer einen Anspruch auf ein Zeugnis mit identischem Wortlaut und gleicher Bewertung haben. Von Bettina Krämer.

Darum geht es:

Ein Arbeitnehmer war als Testingenieur im Bereich »Product Qualification« nach der sog. Scrum-Methode beschäftigt.

Er und ein Kollege aus dem Projektteam schieden aus dem Arbeitsverhältnis aus. Der Kollege bekam ein besseres Arbeitszeugnis. Dies empfand der Ingenieur als ungerecht. Er klagte auf Angleichung seines Zeugnisses an das seines Kollegen.  

Das Arbeitsgericht Lübeck entschied gegen den Arbeitnehmer und wies die Klage ab. Ein Mitarbeiter eines agilen Projekt-Teams, das nach der Scrum-Methode arbeitet, kann nicht deshalb einen bestimmten Wortlaut des Zeugnisses verlangen, weil der Arbeitgeber einem anderen Team-Mitglied ein entsprechendes Zeugnis erteilt hat. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, so dass der Arbeitnehmer noch in Berufung zum Landesarbeitsgericht gehen kann.

Genereller Zeugnisanspruch

Jeder Arbeitnehmer hat nach dem Ende des Arbeitsverhältnisses einen Anspruch auf ein Arbeitszeugnis. Rechtlich ergibt sich der Zeugnisanspruch aus dem Gesetz und oft zusätzlich auch aus den Tarifverträgen. Es gilt für alle Arbeitnehmer der § 109 (GewO) der Gewerbeordnung.

§ 109 GewO lautet:

(1) Der Arbeitnehmer hat bei Beendigung eines Arbeitsverhältnisses Anspruch auf ein schriftliches Zeugnis. Das Zeugnis muss mindestens Angaben zu Art und Dauer der Tätigkeit (einfaches Zeugnis) enthalten. Der Arbeitnehmer kann verlangen, dass sich die Angaben darüber hinaus auf Leistung und Verhalten im Arbeitsverhältnis (qualifiziertes Zeugnis) erstrecken.

(2) Das Zeugnis muss klar und verständlich formuliert sein. Es darf keine Merkmale oder Formulierungen enthalten, die den Zweck haben, eine andere als aus der äußeren Form oder aus dem Wortlaut ersichtliche Aussage über den Arbeitnehmer zu treffen.

(3) Die Erteilung des Zeugnisses in elektronischer Form ist ausgeschlossen.

Nach Rechtsprechung der Gerichte muss das Zeugnis wohlwollend und dem beruflichen Fortkommen dienlich sein.

Besonderheit: Scrum Methode

Die Scrum Methode ist eine Form der agilen Arbeit vor allem im Projektmanagement. Es wird auf fachliche Weisungen durch den Arbeitgeber an die Arbeitnehmer verzichtet, denn es findet eine Selbstregulierung und -kontrolle der Arbeitsgruppe statt.

Arbeitnehmer verlangte identisches Zeugnis

Der Arbeitnehmer meinte, er habe einen Anspruch auf ein gleichlautendes Arbeitszeugnis, da im Scrum-Team die individuelle Arbeitsleistung aufgrund der Typik dieser Methode nur eine untergeordnete Rolle gespielt habe und Team-Ziele vorrangig gewesen seien. Seine Leistungen seien hiernach mindestens ebenso zu bewerten wie diejenigen des Kollegen. Schon deswegen müsse der Arbeitgeber sein Zeugnis ändern.

Begründung des Gericht: individuelle Messbarkeit vorhanden

Nach Auffassung des Arbeitsgerichts ist auch in agilen Arbeitsgruppe unter Einsatz der sog. Scrum-Methode die individuelle Leistung messbar. Bei der Bewertung der Leistung und auch Tätigkeitsbeschreibung kann daher individuell auf den Arbeitnehmer bezogen die Leistung gemessen werden.  Dem steht auch der Einsatz bestimmter moderner Arbeitsmethoden nicht im Weg. Auch dann nicht, wenn die verwendete Methode das Gruppenergebnis in den Vordergrund stelle. Die Scrum-Methode verhindere schon im Grundsatz keine individuelle Leistungsbewertung.

Widersprüchlicher Vortrag bei Gericht

Nachdem das Arbeitsgericht darüber entschieden hatte, dass es keinen Anspruch nur aufgrund der Anwendung der Scrum- Methode für den Kläger auf Zeugnisberichtigung gebe, hätte das Gericht aber im Rahmen des Vortrages einer »Normalen« Zeugnisberichtigungsklage entscheiden können. Bei der Frage der Note und des Anspruchs auf Berichtigung gilt als Richtwert ganz grob: Schlechter als Schulnote »3« muss der Arbeitgeber beweisen, besser als Note »3« der Arbeitnehmer. Dabei gilt z.B. bei der Leistungsbewertung:

Note 1: Er erledigte seine Aufgaben stets zu unserer vollsten Zufriedenheit.

Note 2: Er erledigte seine Aufgaben stets zu unserer vollen Zufriedenheit.

Note 3: Er erledigte die ihm übertragenen Aufgaben zu unserer vollen Zufriedenheit.

Note 4: Er erledigte die ihm übertragenen Aufgaben zu unserer Zufriedenheit.

Note 5: Er erledigte die ihm übertragenen Aufgaben im Großen und Ganzen zu unserer Zufriedenheit.

Leider hatte der Kläger es versäumt mit Beweisantritt zu der besseren Bewertung vorzutragen. Das Gericht lehnte eine Zeugnisberichtigung ab, weil der Arbeitnehmer nicht substantiiert zu den aus seiner Sicht gegebenen besseren Leistungen vorgetragen hatte.  Darüber hinaus könne es sogar widersprüchlich sein, wenn sich der Kläger einerseits auf identisch ausgeübte und in gleicher Weise zu bewertende Tätigkeiten innerhalb der agilen Arbeitsgruppe bezieht und andererseits verlange, bestimmte in besonderer Weise bewältigte Arbeitsaufgaben als herausgehoben zu kennzeichnen.

Praxistipp:

Der Inhalt eines Arbeitszeugnisses kann in einer Bewerbungssituation entscheidend dafür sein, ob man eingeladen oder sogar eingestellt wird. Es gibt daher in der Praxis oft Streit um das Zeugnis. Selten ist die Erteilung selbst das Problem, sondern zumeist der Inhalt. Zeugniscodes, schlechte Leistungs- und Verhaltensbeurteilungen oder sogar das Ausstelldatum des Zeugnisses werden moniert. Was für den Laien als »toll« klingt kann für den geübten Zeugnisleser ein schlechtes Zeugnis sein. So kann z.B. die Reihenfolge bei der Beurteilung des Verhaltens gegenüber Arbeitgeber, Kollegen und Kunden ein Code sein, ebenso wie das Weglassen einer Personengruppe davon. Es lohnt also Rechtsrat.

Für den Betriebsrat gilt, dass das Zeugnis nicht mitbestimmungspflichtig ist. Der Anspruch auf dieses ist ein individuelles Recht. Aber: Verwendet der Arbeitgeber standardisierte Textbausteine für seine Zeugnisses, hat der Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht hinsichtlich der Grundsätze, die der Beurteilung zu Grunde liegen, vgl. § 94 Abs. 2 BetrVG.

Wendet sich ein unzufriedener Arbeitnehmer an den Betriebsrat kann dieser die Beschwerde nach §§ 84,85 BetrVG werten und sich dieser Beschwerde annehmen. Aber Vorsicht: Auch beim Arbeitszeugnis können arbeitsvertragliche oder tarifvertragliche Ausschlussfristen greifen. Man sollte zügig gegen ein schlechtes Zeugnis vorgehen.

Bettina Krämer LL.M., DGB Rechtsschutz GmbH

Quelle

ArbG Lübeck (22.01.2020)
Aktenzeichen 4 Ca 2222/19
Sie erhalten diese Entscheidungsbesprechung als Teil des Newsletters AiB Rechtsprechung für den Betriebsrat vom 10.6.2020.
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