Interview

Wie steht es um die digitale Barrierefreiheit?

13. Mai 2024
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Quelle: © momius / Foto Dollar Club

Viele blinde oder sehbehinderte Menschen nutzen Screenreader. Diese funktionieren mitunter nicht bei verschlüsselten E-Mails. Steht der Datenschutz der Barrierefreiheit im Weg?

Eine blinde Person hat Anspruch darauf, Dokumente vom Jobcenter per unverschlüsselter Mail zu erhalten, damit diese von ihrem Screenreader gelesen werden können. Das musste kürzlich das Sozialgericht Hamburg (30. 6. 2023 – S 39 AS 517/23, vgl. Hlava, Anspruch auf barrierefreies Verwaltungsverfahren, Schwerbehindertenrecht und Inklusion 1/2024, 11 ff.) entscheiden – die Behörde hatte es unter Berufung auf den Datenschutz verweigert. Ein Einzelfall? Wir fragen Sophie Johanning, Expertin für barrierefreie Webseiten.

Was ist das Problem mit verschlüsselten E-Mails?

Vielleicht lässt sich das Problem am besten am Beispiel eines Museums und dessen Sicherheitsvorkehrungen erklären. Wenn ich eine Statue betrachten möchte, habe ich kein Problem damit, wenn diese in einem Sicherheitsglaskasten mit einer Dicke von mehreren Zentimetern steht. Zum bloßen Anschauen muss ich nicht hinter das Glas. Möchte ich jedoch die Statue abtasten, um ihre Beschaffenheit und Oberflächenstruktur zu erfassen, verhindert das die Sicherheitsmaßnahme. Unterschiedliche Interaktionen erfordern unterschiedliche Zugriffsberechtigungen. Ähnlich verhält es sich mit Sicherheitsvorkehrungen im digitalen Bereich. Das Betrachten meiner E-Mails in meinem Postfach ist mit etablierten Sicherheitsmaßnahmen unproblematisch. Jedoch sind sie oft so konzipiert, dass sie bei anderen Interaktionen, wie dem Auslesen einer Mail durch einen Screenreader für blinde Personen, keine Erlaubnis erteilen. Ich kann also nicht „hinter das Sicherheitsglas“. Das ist diskriminierend und ein großes Problem, das bei der Entwicklung von Sicherheitsmechanismen in der digitalen Welt zu wenig Beachtung findet.

Steht der Datenschutz barrierefreien Lösungen im Weg?

Das Problem mit dem Datenschutz ist – wie im Fall des Jobcenters oben  – eher ein Vorwand. Vieles an der Barrierefreiheit könnte man lösen, indem man sich hinsetzt und überlegt, wie all diese Mechanismen funktionieren könnten, ohne Menschen mit Behinderung auszuschließen. Um bei dem Museumsbeispiel zu bleiben: Museen hatten ein Problem. Man wollte Kunstgegenstände sichern und gleichzeitig sollten Menschen die Gegenstände sehen können. Glas als Schutz ist da Ideal. Unsere Lösung richtet sich also nach der anfänglichen Fragestellung. Hätte man sich direkt gefragt, wie ein Sicherheitssystem aussehen muss, dass für alle Menschen funktioniert, hätte man das Problem nicht. Das Datenschutz und Barrierefreiheit hier ein Problem darstellen, ist also etwas temporäres und kommt daher, dass wir die Fragestellung schlecht definiert haben und nach den falschen Lösungen gesucht haben. Wir Menschen sind so innovativ und im Digitalen gibt es täglich neue Ideen. In der Barrierefreiheit tun wir häufig so, als würde es sich nicht lohnen, umzudenken.

Zunehmend werden auch Verwaltungsleistungen digitalisiert. Wie ist das unter Aspekten der Barrierefreiheit zu bewerten?

Im digitalen Bereich besteht vor allem dann ein Problem, wenn Informationen ausschließlich visuell oder auditiv vermittelt werden. Digitale Barrierefreiheit bedeutet daher die Möglichkeit, Informationen in andere Formate zu konvertieren. Nehmen wir das Beispiel eines Formulars: Ich kann mir dieses als PDF von der Website meiner Stadtverwaltung herunterladen. Persönlich betrachte ich das PDF und fülle es auf meinem Tablet mit einem Stift aus, also interagiere ich visuell und durch feinmotorische Bewegungen meiner Hand damit. Dieses Formular sollte idealerweise so gestaltet sein, dass ich die Informationen auch über einen anderen Sinn wahrnehmen und auf andere Weise interagieren kann (...).

Mehr lesen? 

Welche weiteren Personengruppen von barrierefreien Anwendungen profitieren und was Betriebs- und Personalräte bei ihrer Kommunikation beachten sollten, lesen Abonnent:innen in  »Computer und Arbeit« 3/2024, S. 33 f.  

Das Titelthema im März lautet: Digitaler Arbeitsschutz | Smarte Tools, sicherer Arbeitsplatz?

Weitere Highlights:

  • Mobile Arbeit | 11 Fragen zum Datenschutz im Homeoffice
  • Microsoft | Copilot – eine neue Arbeit des Arbeitsn?
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