Teilzeitarbeit

EuGH: Gleichbehandlung für teilzeitbeschäftigte Piloten

Dollarphotoclub_78834301-e1465204120942
Quelle: bluedesign_Dollarphotoclub

Teilzeitbeschäftigte werden europarechtswidrig benachteiligt, wenn der Arbeitgeber Zuschläge für Mehrarbeit sowohl an Vollzeitbeschäftigte als auch an Teilzeitbeschäftigte erst ab Überschreiten der gleichen Grenze von Arbeitsstunden zahlt - so der Europäische Gerichtshof.

Darum geht es

Ein Pilot arbeitet bei Lufthansa CityLine (CLH) in Teilzeit mit einer Arbeitszeit von 90 % der Vollarbeitszeit. Die Teilzeit wird durchgeführt, indem er 37 zusätzliche freie Tage im Jahr erhält. Nach den tarifvertraglichen Regelungen bei der CLH erhält man ab Überschreitung von bestimmten Flugstundenzahlen abgestuft eine Mehrflugstundenvergütung für die zusätzlichen Flugstunden. Eine Herabsetzung der Auslösegrenzen für Teilzeitbeschäftigte ist nicht vorgesehen. Der Pilot ist der Auffassung, er habe mit Überschreitung der Auslösegrenzen, wenn diese entsprechend seinem Teilzeitfaktor herabgesetzt seien, Anspruch auf die Mehrvergütung.

Er obsiegte vor dem Arbeitsgericht, zweitinstanzlich wurde die Klage abgewiesen. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) schließlich legte dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) die Sache zur Vorabentscheidung darüber vor, ob eine nationale Regelung, nach der ein Anspruch auf eine zusätzliche Vergütung davon abhängig gemacht wird, dass für Teilzeit- und Vollzeitbeschäftigte einheitlich dieselbe Zahl von Arbeitsstunden überschritten wird, gegen EU-Recht verstoße.

Das sagt der EuGH

Der EuGH bejahte dies. Nach Paragraf 4 Nr. 1 der Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit im Anhang der Richtlinie 97/81/EG dürfen Teilzeitbeschäftigte in ihren Beschäftigungsbedingungen gegenüber vergleichbaren Vollzeitbeschäftigten nicht schlechter behandelt werden, es sei denn, die unterschiedliche Behandlung ist aus sachlichen Gründen gerechtfertigt.

Eine Regelung, die die Zahlung einer zusätzlichen Vergütung für teilzeitbeschäftigte und für vergleichbare vollzeitbeschäftigte Piloten einheitlich daran knüpft, dass dieselbe Zahl Arbeitsstunden überschritten wird, ist als eine „schlechtere“ Behandlung der Teilzeitbeschäftigten im Sinne dieser Vorschrift anzusehen, da unter diesen Bedingungen teilzeitbeschäftigte Piloten die für den Anspruch auf Mehrvergütung erforderlichen Auslösegrenzen entweder nicht oder deutlich schwerer als vollzeitbeschäftigte Piloten erreichen.

Die identischen Auslösegrenzen entsprechen bei teilzeitbeschäftigten Piloten gemessen an ihrer Gesamtarbeitszeit doch einem längeren Flugstundendienst als bei vollzeitbeschäftigten Piloten. Es kommt also für teilzeitbeschäftige Piloten zu nachteiligen Auswirkungen auf das Verhältnis von Leistung und Gegenleistung.

Eine unterschiedliche Behandlung von Teil- und Vollzeitbeschäftigten kann nicht damit gerechtfertigt werden, dass sie in einem Gesetz oder Tarifvertrag vorgesehen sei. CLH hatte den Gesundheitsschutz für Piloten als Grund genannt, die Bestimmungen der anwendbaren Tarifverträge führen allerdings keinen sachlichen Grund auf, der die Ungleichbehandlung rechtfertigen könnte.

Es bestehen Zweifel daran, ob die Festlegung einheitlicher Auslösegrenzen im Hinblick auf das Ziel, die Gesundheit der Piloten zu schützen, indem die Fluggesellschaften davon abgehalten werden, die Piloten zu übermäßiger Arbeit heranzuziehen, angemessen und kohärent ist: Da die Fluggesellschaften die Mehrvergütung nur jenseits der Auslösegrenze für die Arbeitszeit der vollzeitbeschäftigten Piloten tragen, könnten sie versucht sein, vor allem teilzeitbeschäftigte Piloten mit Mehrarbeit zu belasten.

Schließlich weist der EuGH noch, für den Fall, dass die nationale Regelung auf wirtschaftlichen Erwägungen beruht, darauf hin, dass eine sparsame Personalbewirtschaftung zu Haushalterwägungen gehört, die eine Diskriminierung nicht rechtfertigen können.

Hinweis für die Praxis

Das Urteil, mit dem der EuGH übrigens vom Antrag seines Generalanwaltes abwich, der keine Diskriminierung von teilzeitbeschäftigten Piloten hatte erkennen können, dient dem Schutz der Teilzeitbeschäftigten vor Diskriminierung und ihrer Gesundheit.

Es ist angesichts dieses EuGH-Urteils zu erwarten, dass das BAG dem Kläger Recht geben wird. Tarifvertragliche Regelungen, die hinsichtlich Mehrarbeitsvergütung einheitliche Auslösegrenzen für Teilzeit- und Vollzeitbeschäftigte vorsehen, werden sich generell schwerlich halten lassen.

Torsten Walter, LL.M. (Leicester), DGB Bundesvorstand, Abteilung Recht und Vielfalt

© bund-verlag.de

 

Quelle

EuGH (19.10.2023)
Aktenzeichen C‑660/20
EuGH, Pressemitteilujng vom 19.10.2023 (MK gegen Lufthansa CityLine)
Newsletter 2024 viertel - Anzeige -
Michael Kossens, u.a.
Basiskommentar zum TzBfG
46,00 €
Mehr Infos
Olaf Deinert, u.a.
Richtlinien und Verordnungen - Einleitungen - Rechtsprechung, Inklusive Online-Zugriff
44,90 €
Mehr Infos

Das könnte Sie auch interessieren

Dollarphotoclub_52916327_160503
Aus den Fachzeitschriften

Der Betriebsrat als Krisenmanager

Dollarphotoclub_38678589_160503
Betriebsratsarbeit - Rechtsprechung

Wann ein Betriebsratsbüro groß genug ist

Laster_72989902
Arbeitsbedingungen - Aktuelles

Richtlinie zur Plattformarbeit kommt

Arbeitsschutz - Helme
Arbeitsschutz - Aus den Fachzeitschriften

Digitale Unterweisung im Arbeitsschutz