BAG: Keine Mitbestimmung bei Attestauflagen in wenigen Einzelfällen

Nach dem Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG) müssen Arbeitnehmer im Fall einer Krankheit spätestens ab dem vierten Tag ein ärztliches Attest vorlegen (§ 5 Abs. 1 Satz 2 EFZG). Es steht dem Arbeitgeber allerdings frei, die Vorlage bereits früher, also auch schon am ersten Krankheitstag zu verlangen (§ 5 Abs. 1 Satz 3 EFZG). Es ist umstritten, ob und wann die Anweisung des Arbeitgebers ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG auslöst. Zu dieser Frage nimmt das BAG hier Stellung.
Darum geht es
Die Arbeitgeberin erbringt krankenhausnahe Dienstleistungen und beschäftigt über 1.175 Arbeitnehmer. Sie hat seit 2018 gegenüber insgesamt 17 Arbeitnehmern eine Attestauflage ausgesprochen und sie mit gleichlautenden Schreiben verpflichtet, bereits vom ersten Tag der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit ein ärztliches Zeugnis vorzulegen (§ 5 Abs. 1 Satz 3 EFZG).
Der Betriebsrat sieht sein Mitbestimmungsrecht aus § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG verletzt, da es sich um eine Frage der betrieblichen Ordnung handelt, und verlangt Unterlassung. Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht wiesen den Antrag ab (LAG Berlin-Brandenburg 3.12.2021 – 1 2 TaBV 74/21).
Das sagt das BAG
Der Antrag blieb aber in allen drei Instanzen erfolglos. Das BAG bestätigt die Entscheidung des LAG Berlin-Brandenburg:
im Streitfall fehle es an einem kollektiven Sachverhalt, der für das Mitbestimmungsrecht erforderlich sei. Es sei nicht ersichtlich, dass die 17 „Attestauflagen“ der Arbeitgeberin auf einer bestimmten Regel beruhen oder ihrer Erteilung eine Regelhaftigkeit zugrunde liegt.
Der – als zutreffend unterstellte – Vortrag des Betriebsrats, nach dem die Arbeitgeberin die Verlangen iSv. § 5 Abs. 1 Satz 3 EFZG gegenüber Arbeitnehmern mit „häufigen Kurzerkrankungen“ oder mit „hohen Fehlzeiten, darunter vielen Einzelfehltagen“ geäußert haben soll, lässt ebenfalls nicht auf ein regelhaftes Vorgehen schließen.
Arbeitgeber soll nur Einzelfälle entschieden haben
Die fehlende Spezifikation der unterschiedlichen krankheitsbedingten Anlässe lasse vielmehr erkennen, dass die wenigen Fälle, in denen entschieden wurde, eine „Attestauflage“ zu erteilen, durch die Umstände des jeweiligen Einzelfalls bedingt waren. Es sei nicht ersichtlich, dass die Arbeitgeberin von ihrem Recht aus § 5 Abs. 1 Satz 3 EFZG nur bei stets gleichen erfüllten Voraussetzungen Gebrauch gemacht habe, etwa einer bestimmten Anzahl von krankheitsbedingten Fehltagen.
Soweit der Betriebsrat geltend gemacht habe, es komme gerade nicht darauf an, „ob die Anzahl der Fehlzeiten bei den betroffenen Arbeitnehmern stets gleich war“, verkennt er die Anforderungen an die Regelhaftigkeit solcher Maßnahmen.
Handeln nach allgemeiner Regel erforderlich
Hierfür genüge es nicht, wenn der Arbeitgeber „im Allgemeinen“ höhere Krankheits- oder Fehlzeiten unterschiedlichen Umfangs zum Anlass nimmt, sein Bestimmungsrecht nach § 5 Abs. 1 Satz 3 EFZG auszuüben. Die Ausübung dieser Befugnis müsse vielmehr einer generellen, für alle Arbeitnehmer – oder zumindest bestimmten Gruppen von ihnen – geltenden Regel folgen.
Hinweis für die Praxis
Das BAG verneint, wie schon die Vorinstanzen, ein Mitbestimmungsrecht und stützt sich dabei ersichtlich auf die geringe Zahl von Fällen, in denen Arbeitgeber das Attest sofort verlag.
Ohne weiteres wäre ein Mitbestimmungsrecht gegeben, wenn der Arbeitgeber für die Beschäftigten Richtlinien im Zusammenhang mit der Krankmeldung erlassen würde. auch eine nicht im Betrieb bekannt gegebene Weisung an die Personalabteilung könnte genügen – wenn sie dem Betriebsrat bekannt wird oder sie aus den „Einzelfällen“ ersichtlich ist.
Ist dies zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber streitig, sollte das Gremium über die Fälle, die ihm bekannt werden, eine Liste führen und prüfen, ob sich Gemeinsamkeiten ergeben, um den vom Gericht verlangten „kollektiven Tatbestand" nachzuweisen und ein Mitbestimmungsrecht durchzusetzen.
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Quelle
Aktenzeichen 1 ABR 5/22