Kündigung

Erneute Heirat ist kein Kündigungsgrund

21. Februar 2019
Köln Dom Kirche Cologne
Quelle: www.pixabay.com/de

Seit 2009 beschäftigt der Streit die Justiz: Ein katholischer Chefarzt an einem kirchlichen Krankenhaus erhielt die Kündigung, weil er nach der Scheidung von seiner ersten Frau erneut geheiratet hatte. Der Verstoß gegen kirchliche Verhaltensregeln rechtfertige die Kündigung aber nicht – so nun das BAG.

Darum geht es

Die Arbeitgeberin ist Trägerin von Krankenhäusern und institutionell mit der katholischen Kirche verbunden. Der katholische Kläger war bei ihr seit dem Jahr 2000 als Chefarzt beschäftigt. Der Mediziner war nach katholischem Ritus verheiratet. Nach der Scheidung von seiner ersten Ehefrau heiratete er im Jahr 2008 erneut standesamtlich. Nachdem seine Arbeitgeberin hiervon Kenntnis erlangt hatte, kündigte sie das Arbeitsverhältnis ordentlich zum 30.9.2009. Die kirchenrechtlich ungültige zweite Ehe sei ein gravierender Verstoß gegen die Loyalitätspflicht kirchlicher Beschäftigter.

Der Chefarzt erhob Kündigungsschutzklage. Er berief sich unter anderem darauf, dass die Loyalitätspflicht nur von katholischen Mitarbeitern eingefordert werde, nicht aber von Beschäftigten anderer Bekenntnisse. Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben seiner Klage stattgegeben (LAG Düsseldorf, 1.7.2010 – 5 Sa 996/09). Auch das Bundesarbeitsgericht (BAG) entschied schon einmal zugunsten des Mediziners (BAG 8.11.2011 – 2 AZR 543/10).

Streitpunkt: Dürfen Arbeitsgerichte kirchliche Verhaltensregeln kontrollieren?

Gegen dieses Urteil legte die kirchliche Arbeitgeberin Verfassungsbeschwerde ein. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hob das Urteil auf. Das BAG musste ein neues Verfahren eröffnen und in einer neuen Entscheidung stärker als zuvor das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften beachten. Dieses ist durch Art. 4 Abs. 1 und 2 GG und Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 137 der Weimarer Reichsverfassung gewährleistet (BVerfG 22.10.2014 - 2 BvR 661/12).

Im zweiten Verfahren holte das BAG eine Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) ein. Der EuGH entschied, dass auch Vorgaben für Mitarbeiter einer kirchlichen Einrichtung - in diesem Fall eines Krankenhauses - Gegenstand einer wirksamen gerichtlichen Kontrolle sind. Weltliche Gerichte können und müssen im Einzelfall prüfen, ob kirchliche Anforderungen ans Privatleben und Verhalten der Beschäftigten gerechtfertigt sind (EuGH 11.9.2018 – C-68/17).

Bundesarbeitsgericht: Kündigung unwirksam

Auch im neuen Verfahren entschied das BAG nach den Vorgaben von BVerfG und EuGH zugunsten des gekündigten Chefarztes. Die Kündigung durch den kirchlichen Arbeitgeber ist nicht durch Gründe im Verhalten oder in der Person des Klägers sozial gerechtfertigt (§ 1 Abs. 2 KSchG). Die erneute Heirat verletze weder eine wirksam vereinbarte Loyalitätspflicht noch war die Arbeitgeberin berechtigt, in dieser Frage Loyalität zu erwarten.

Ungleichbehandlung gegenüber nicht-katholischen Beschäftigten

Dem Dienstvertrag des Arbeitnehmers liegt die »Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse« von 1993 zugrunde. Diese benennt das Eingehen einer kirchenrechtlich ungültigen Ehe als schweren Loyalitätsverstoß, der zur Kündigung berechtigt. Dieser Passus der GrO 1993 ist aber nach Auffassung des BAG gemäß § 7 Abs. 2 AGG unwirksam. Diese Regelung benachteiligte den Kläger gegenüber nicht der katholischen Kirche angehörenden leitenden Mitarbeitern wegen seiner Religionszugehörigkeit und damit wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes, ohne dass dies nach § 9 Abs. 2 AGG gerechtfertigt ist.

Keine rechtmäßige berufliche Anforderung

Dies folge aus einer unionsrechtskonformen Auslegung von § 9 Abs. 2 AGG, jedenfalls aber aus dem Anwendungsvorrang des Unionsrechts. Übereinstimmend mit dem EuGH entschied das BAG, dass die Loyalitätspflicht, keine nach dem Verständnis der katholischen Kirche ungültige Ehe zu schließen, keine wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung an den Kläger war.

Dieser Auslegung des AGG stünden die Vorgaben des BVerfG nicht entgegen. Das vom EuGH ausgelegte Unionsrecht dürfe die Voraussetzungen näher ausgestalten, unter denen die der Kirche zugeordneten Einrichtungen ihre Beschäftigten wegen der Religion ungleich behandeln dürfen, näher ausgestalten. Damit habe der EuGH seine Kompetenz nicht überschritten.

Anmerkung zum Verfahren:

Wie die Süddeutsche Zeitung online berichtet, ist der Kläger dieses Verfahrens immer noch im gleichen Krankenhaus als Chefarzt beschäftigt. Im Jahr 2015 hat die Deutsche Katholische Bischofskonferenz die »Grundordnung des Kirchlichen Dienstes im Rahmen Kirchlicher Arbeitsverhältnisse« (GrO 2015) neu erlassen. Das Eingehen einer kirchlich unzulässigen Zivilehe gilt nur noch dann als Anlass für eine Kündigung, wenn »diese Handlung nach den konkreten Umständen objektiv geeignet ist, ein erhebliches Ärgernis in der Dienstgemeinschaft oder im beruflichen Wirkungskreis zu erregen und die Glaubwürdigkeit der Kirche zu beeinträchtigen.«

Lesetipp:

EuGH: »Religiöse Überzeugung für Chefarzt-Posten unerheblich«

Deutsche Bischofskonferenz: Grundordnung des kirchlichen Dienstes

© bund-verlag.de (ck)

Quelle

BAG (20.02.2019)
Aktenzeichen 2 AZR 746/14
BAG, Pressemitteilung vom 20.2.2019
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