Aus »Gute Arbeit«

EuGH-Urteil und die Vertrauensarbeitszeit

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Quelle: © rdnzl / Foto Dollar Club

Der Europäische Gerichtshof hat im Mai verbindliche Anforderungen für die Arbeitszeiterfassung aufgestellt. Er betont dabei die Grundrechte der Beschäftigten auf Höchstarbeitszeiten und Ruhezeiten. Dirk Schumann und Hilde Wagner erläutern im Titelthema in »Gute Arbeit« 9/2019, was das für die Vertrauensarbeitszeit bedeutet.

Die EU-Mitgliedstaaten müssen gemäß EuGH (EuGH 14.5.2019 – C-55/18) dafür sorgen, dass den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern die ihnen verliehenen Rechte zugutekommen. Dabei sei auch zu berücksichtigen, »dass der Arbeitnehmer als die schwächere Partei des Arbeitsvertrages anzusehen ist, so dass verhindert werden muss, dass der Arbeitgeber ihm eine Beschränkung seiner Rechte auferlegt«.

Betriebsrat benötigt für seine Kontrollpflichten verlässliche Daten

Die Autoren Hilde Wagner und Dirk Schumann folgern: Die bisherige Praxis bei Vertrauensarbeitszeit behindert eine umfassende Mitbestimmung der Interessenvertretungen bei der Arbeitszeit und verstößt gegen die vom EuGH geforderte verlässliche Dokumentation der Arbeitszeiten. Der Arbeitgeber müsse in der Lage sein, dem Betriebsrat zur Erfüllung seiner Überwachungsaufgabe hinsichtlich gesetzlicher und tariflicher Arbeitszeitvorschriften entsprechende Auskünfte zu erteilen. Auch das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat bereits 2003 diesbezüglich entschieden: »Zur Wahrnehmung seiner Überwachungsaufgabe nach § 80 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG benötigt der Betriebsrat im Hinblick auf die Einhaltung der gesetzlichen Ruhezeiten und der tariflichen wöchentlichen Arbeitszeit Kenntnis von Beginn und Ende der täglichen und vom Umfang der tatsächlich geleisteten wöchentlichen Arbeitszeit der Arbeitnehmer« (BAG 6.5.2003 – 1 ABR 13/02 - Leitsatz).

Bei Vertrauensarbeitszeit organisieren die Beschäftigten ihre vertraglich geschuldete Arbeitszeit eigenverantwortlich. Das heißt für die Praxis vor allem: Verzicht auf eine exakte Zeiterfassung und auf Mitbestimmungsrechte. Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit, ihre Verteilung auf die Wochentage sowie Ausgleichszeiträume werden nach diesem Modell nicht mehr mit dem Betriebsrat festgelegt. Auch eine Überwachung der persönlichen Zeiten durch den Betriebsrat oder die Erfassung der Mehrarbeit ist bei der geschilderten Praxis kaum möglich.

Folgen für die Vertrauensarbeitszeit

Die Geschäftsführung steuert nicht mehr in erster Linie über direkte Kontrolle, sondern über Ziele, die Beschäftigte erreichen müssen. Mit der höheren Verantwortung für das Arbeitsergebnis wird ihnen oft auch die Verantwortung für eine termingerechte Erledigung von Arbeitsvorhaben übertragen – unabhängig von oft mangelnden Ressourcen und Rahmenbedingungen. Im Ergebnis geraten die Beschäftigten unter Druck, ihre Arbeitszeit »freiwillig« zu verlängern.

Vertrauensarbeitszeit verleitet viele Arbeitgeber dazu, bei den geleisteten Arbeitszeiten nicht mehr genau hinzuschauen und ihre arbeitsschutzrechtlichen Pflichten zu vernachlässigen. Schumann und Wagner plädieren dafür, flexible Regelungen für Arbeitszeitkonten aufzustellen, die der Betriebsrat mitbestimmt und die dafür sorgen sollen, dass die Beschäftigten auch in ihrem Interesse den Arbeitsbeginn, das Arbeitszeitende und die Zeitentnahme für die Freizeit gestalten können. Mehrarbeit verfällt nicht mehr unbezahlt, der Gesundheitsschutz kann beachtet werden.

Weitere Informationen

Der Beitrag von Dirk Schumann und Dr. Hilde Wagner in »Gute Arbeit« 9/2019 (12-15).

Der Beitrag ist Teil des Titelthemas »EuGH-Urteil: Pflicht zur Arbeitszeiterfassung« (S. 8-18) mit drei Beiträgen. Außerdem lesen

  • Prof. Dr. Wolfhard Kohte im Interview zum EuGH-Urteil (S. 8-11): »Arbeitszeiten erfassen, die Gesundheit schützen«.
  • Eva Aich: »Gefährdungsbeurteilung zu Arbeitszeit« (S. 16-18).

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