Arbeitsschutz

Fünf Tipps zur Mitbestimmung im Arbeitsschutz

12. Februar 2016
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Quelle: © DOC RABE Media / Foto Dollar Club

Die Vorschriften zum Arbeitsschutz sind überaus unbestimmt und führen zu Unsicherheit bei der praktischen Umsetzung. Bleibt der Arbeitgeber untätig, muss der Betriebsrat selbst all die Begriffe konkretisieren, um sein Mitbestimmungsrecht auszuüben. Die Experten Harald Lehning und Herbert Bühl verraten im Interview, worauf Betriebsräte achten sollten.

Das Arbeitsschutzgesetz sagt: »Durch eine Beurteilung der mit der Arbeit verbundenen Gefährdungen und Belastungen soll ermittelt werden, welche Maßnahmen des Arbeitsschutzes erforderlich sind .« Dabei wird aber an keiner Stelle des Gesetzes erwähnt, wie eine Gefährdungsbeurteilung auszusehen hat. Auch Hinweise, welche Maßnahmen erforderlich sein könnten, fehlen völlig. Das stellt Betriebsräte vor eine große Herausforderung.

Bund-Verlag: Was sind die 5 wichtigsten Tipps für den Abschluss von Betriebsvereinbarungen zum Arbeits- und Gesundheitsschutz?

Harald Lehning und Herbert Bühl:

  • Tipp 1: Nicht alles in einer Betriebsvereinbarung regeln! Die Bestimmungen des Arbeitsschutzgesetzes und der Verordnungen zum Arbeits- und Gesundheitsschutz sind zu komplex, um in nur einer Vereinbarung sachgerecht geregelt werden zu können.
  • Tipp 2: Zentraler Inhalt jeder Betriebsvereinbarung zum Arbeits- und Gesundheitsschutz sollte eine konkrete Regelung zur Wahrung der Mitbestimmung sein: Ein paritätisch besetzter Ausschuss trifft alle erforderlichen Entscheidungen verbindlich. Ist eine Einigung nicht möglich, versuchen Arbeitgeber und Betriebsrat eine Verständigung. Ist auch dies nicht möglich, kann ein Einigungsstellenverfahren nach § 76 Betriebsverfassungsgesetz eingeleitet werden.
  • Tipp 3: Die Gefährdungsbeurteilung zur Ermittlung psychischer Belastungen nimmt eine Schlüsselrolle ein. Einerseits sind psychische Belastungen mit zunehmender Tendenz ursächlich für langwierige Erkrankungen und Frühverrentungen von Beschäftigten. Andererseits sorgt die ganzheitliche Betrachtung der Arbeitsbedingungen dafür, dass auch physikalisch-technische und ergonomische Fehlgestaltungen der Arbeitsbedingungen sichtbar werden. Deshalb sollte der Betriebsrat sein Hauptaugenmerk darauf richten, die einzelnen Prozessschritte einer ganzheitlichen Gefährdungsbeurteilung und die jeweilige Beteiligung des Betriebsrats sehr konkret in einer gesonderten Betriebsvereinbarung zu regeln. Dabei sollte überlegt werden, ob nicht zunächst in einem Pilotverfahren für einen abgrenzbaren Betriebsbereich Erfahrungen gesammelt werden können.
  • Tipp 4: Die DGUV Vorschrift 2 bietet Betriebsräten die Möglichkeit, darüber mitzubestimmen, welche konkreten Aufgaben Betriebsarzt und Fachkraft für Arbeitssicherheit erledigen sollen. Damit erhält die im Arbeitsschutzgesetz implizit enthaltene Steuerungsfunktion der Gefährdungsbeurteilung im Hinblick auf Aktivitäten zum Arbeits- und Gesundheitsschutz eine praktische Ergänzung. Betriebsarzt und Fachkraft für Arbeitssicherheit sollen vorrangig dort tätig werden, wo Gefährdungsbeurteilungen Belastungen und Gefährdungen identifiziert haben. Deshalb sollte das Verfahren für die Ermittlung der sog. betriebsspezifischen Betreuungszeiten für Betriebsarzt und Fachkraft für Arbeitssicherheit in einer gesonderten Betriebsvereinbarung in der Form geregelt werden, dass betriebsspezifische Betreuungszeiten und Aufgaben im jährlichen Rhythmus festgelegt und zum Inhalt der jeweiligen Vertragsvereinbarungen mit Betriebsarzt und Fachkraft für Arbeitssicherheit gemacht werden.
  • Tipp 5: Die Zuständigkeit für die Mitbestimmung im Arbeits- und Gesundheitsschutz liegt grundsätzlich beim örtlichen Betriebsrat, weil es kaum vorstellbar ist, dass es in den verschiedenen Betrieben eines Unternehmens Arbeitsplätze mit völlig gleichartigen Bedingungen gibt. Deshalb sollte allen Versuchen, den Gesamtbetriebsrat mit der Wahrnehmung der Mitbestimmungen zu beauftragen, eine Absage erteilt werden.

Bund-Verlag: Wie sieht das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats im Arbeits- und Gesundheitsschutz konkret aus?

Harald Lehning und Herbert Bühl:

Bereits 2004 hat das Bundesarbeitsgericht festgestellt (BAG 8.6.2004 – 1 ABR 4/03), dass dem Betriebsrat ein sehr umfassendes Mitbestimmungsrecht bei der betrieblichen Ausgestaltung der Vorschriften des Gesundheitsschutzes zusteht. Dieses Mitbestimmungsrecht beinhaltet auch ein Initiativrecht und beschränkt sich z. B. nicht nur auf die Frage, ob eine Gefährdungsbeurteilung durchgeführt wird, sondern umfasst auch alle Fragen des „wie“. d. h. mit welchen Methoden welche Arbeitsplätze bzw. Arbeitsbereiche auf welche Gefährdungen und Belastungen untersucht und nach welchen Kriterien diese bewertet werden sollen. Darüber hinaus steht dem Betriebsrat nach § 5 Arbeitsschutzgesetz ein Mitbestimmungsrecht bei der Festlegung von Maßnahmen zur Abhilfe von Gefährdungen und Belastungen zu.

Bund-Verlag: Welche Rolle spielt der Arbeitsschutzausschuss?

Harald Lehning und Herbert Bühl:

Der Arbeitsschutzausschuss soll die Kooperation der betrieblichen Akteure des Arbeits- und Gesundheitsschutzes organisieren und institutionalisieren. Also in erster Linie die Unterstützung des Arbeitgebers durch Betriebsarzt und Fachkraft für Arbeitssicherheit gewährleisten. Darüber hinaus die Zusammenarbeit von Betriebsarzt und Fachkraft für Arbeitssicherheit untereinander und mit dem Betriebsrat sicherstellen. Der Arbeitsschutzausschuss ist kein selbständiges Beschlussorgan. Er kann keine verbindlichen Entscheidungen treffen und ist deshalb nicht das Gremium zur Wahrnehmung der Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats.

Bund-Verlag: Was raten Sie Betriebsräten: Worauf sollten sie insbesondere achten?

Harald Lehning und Herbert Bühl:

Betriebsräte können ihre umfangreichen Aufgaben und ihre weitgehenden Mitbestimmungsrechte beim Arbeits- und Gesundheitsschutz ohne externe Beratung sachgerecht kaum wahrnehmen. Deshalb sollten sie die häufig vorhandene Hemmschwelle überwinden und arbeitswissenschaftliche Sachverständige hinzuziehen, um den sich aus den Vorschriften des Arbeits- und Gesundheitsschutzes ergebenden Anforderungen gerecht zu werden. § 80 Absatz 3 Betriebsverfassungsgesetz im Zusammenhang mit § 87 Absatz 1 Ziffer 7 Betriebsverfassungsgesetz bietet hierfür eine hinreichende Grundlage.

Die Interviewpartner:

Dipl.-Ing. Harald Lehning , Dipl.-Sozialökonom Herbert Bühl

KlärWerk Institut für kritische Sozialforschung und Bildungsarbeit e.V.
Norderreihe 1
22767 Hamburg

Tel.: 040 43 21 63 0
Fax: 040 43 21 63 11
http://www.institut-klaerwerk.de/

Veröffentlichung zum Thema:

»Ganzheitliche Gefährdungsbeurteilung nach § 5 Arbeitsschutzgesetz«; Dipl.-Ing. H. Lehning; ISBN 978-3-86386-829-1

© bund-verlag.de (ls)

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