Verhaltensbedingte Kündigung

Sexuelle Belästigung ist unabhängig vom Motiv

17. Oktober 2017
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Quelle: © S. Engels / Foto Dollar Club

Das Berühren von Geschlechtsmerkmalen eines anderen ist sexuell bestimmt. Gleiches gilt für entsprechende verbale Äußerungen. Dies sind körperliche Übergriffe auf die Intimsphäre. Ein wichtiger Grund für eine fristlose Kündigung ist so vorprogrammiert. Einzig die Interessenabwägung ist hier entscheidend.

Der spätere Kläger war  seit 1991 im Stahlwerk tätig. Zusammen mit Leiharbeitnehmern verpackte er im Oktober 2014 Bandstahlrollen. Einem Leiharbeitnehmer griff  er schmerzhaft von hinten in den Genitalbereich. Dazu hat der Kläger sinngemäß geäußert, dass der Leiharbeitnehmer »dicke Eier« habe.

Zwei Tage später hat der Leiharbeitnehmer  den Vorfall seinem Vorgesetzten gemeldet.

Der Arbeitgeber  hörte den Kläger wegen des Vorfalles an. Der bestritt diesen, obwohl er ihn gegenüber dem Werksschutz zunächst eingeräumt hatte. Dabei hatte er den Vorfall allerdings verharmlost.

Es existiert eine Betriebsvereinbarung zur respektvollen Zusammenarbeit. Bei Verstößen dagegen beraten Arbeitgeber und Betriebsrat über zu treffende Maßnahmen wie Belehrung, Verwarnung, Abmahnung bis hin zur Kündigung. Eine solche Beratung hatte vor der Kündigung  nicht stattgefunden. Dem Kläger wurde fristlos, hilfsweise ordentlich gekündigt. Der Betriebsrat war zuvor zur Kündigung angehört worden.

Ein sexueller Übergriff ist immer ein wichtiger Grund

Für eine fristlose Kündigung bedarf eines wichtigen Grundes. Es müssen Tatsachen vorliegen, aufgrund derer  dem Arbeitgeber unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Der Vorfall ist bereits an sich geeignet, einen wichtigen Grund im Sinne von § 626 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) darzustellen. Das Verhalten des Klägers erfüllt auch denTatbestand einer sexuellen Belästigung nach § 3 Abs. 4 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG). Dabei handelt es sich um ein unerwünschtes, sexuell bestimmtes Verhalten. Dazu zählen körperliche Berührungen und verbale Bemerkungen sexuellen Inhaltes, die bezwecken oder bewirken, dass die Würde der betreffenden Person verletzt wird. Ein einmaliger Vorfall kann genügen. Einer sexuellen Motivation des Täters bedarf es ebenso wenig wie Vorsatz. Dies deshalb, da die sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz häufig Ausdruck von Hierarchie und Machtausübung und weniger von sexueller Lust bestimmt ist.

Die Unerwünschtheit der Verhaltensweise muss objektiv erkennbar sein. Es besteht kein Zweifel, dass der zielgerichtete Griff in die Genitalien eine sexuell bestimmte körperliche Berührung ist. Die dazu verwendeten Worte, er habe aber »dicke Eier« ist eine entwürdigende Bemerkung sexuellen Inhaltes. Der körperliche Übergriff wurde durch die Äußerung noch verstärkt.

Interessenabwägung ist entscheidend

Obwohl der Kläger sein Verhalten bestritten hat, hatte das Landesarbeitsgericht (LAG) den Vorfall als wahr gewürdigt. Daran ist das Bundesarbeitsgericht (BAG) gebunden. Gleichwohl erfolgte durch das BAG eine Zurückweisung des Verfahrens an das LAG. Im Rahmen der Interessenabwägung sei nicht hinreichend geprüft worden, ob die Kündigung das einzige Mittel war. Das LAG muss alle Umstände des Einzelfalles bewerten. Dazu zählen die Wiederholungsgefahr, die Sozialdaten des Klägers, der Verlauf des Arbeitsverhältnisses bis zum Vorfall. Aber auch der Schutz der Kollegen und das Ansehen des Arbeitgebers, hier insbesondere, da Leiharbeitnehmer betroffen sind. Das BAG war der Meinung, hier könnte möglicherweise eine Abmahnung ausreichen. Diese Maßnahme würde dem Kläger sein Verhalten vorm Augen führen. Er sei dann gewarnt und könnte von einer wiederholten Entgleisung abgehalten werden. Sexuelle Belästigungen sind immer schwerwiegende Eingriffe, die uneingeschränkt geahndet werden müssen. Es muss aber auch berücksichtigt werden, ob ein provozierendes Verhalten der sexuellen Belästigung vorausgegangen ist. In jedem Fall sollte der Betroffene den Vorgesetzten und den Betriebsrat informieren.

Praxistipp

Der Betriebsrat sollte sich als Ansprechpartner anbieten. Das Problem könnte etwa auf einer Betriebsversammlung thematisiert werden. Zudem könnte Informationsmaterial bereitgestellt werden. Falsch wäre es in jedem Fall, nichts zu tun. Der Betriebsrat hat weitere Möglichkeiten:

  • §80 BetrVG: Überwachen der Einhaltung von Gesetzen, dazu gehört auch das AGG.
  • §87 BetrVG: Ordnung des Betriebes im Wege des Mitbestimmungsrechtes, was hat der Arbeitgeber bei sexueller Belästigung zu tun? Hier kommt § 104 BetrVG ins Spiel: Entfernung betriebsstörender Arbeitnehmer im Extremfall.
  • Abschluss einer Betriebsvereinbarung

Margit Körlings, DGB Rechtsschutz GmbH

© bund-verlag.de

 

Quelle

BAG (29.06.2017)
Aktenzeichen 2 AZR 302/16
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