Aktuell in "Der Personalrat"

Pfiffig und auf Augenhöhe

10. Februar 2022
Beide GJAVen_073_k

Den Sonderpreis der DGB-Jugend räumten 2021 erstmals zwei Jugendgremien ab: Die Gesamt-JAV der Stadt Nürnberg hat die Übernahme der Azubis durchgesetzt. Die Gesamt-JAV der AOK Baden-Württemberg erkämpfte die komplette Übernahme der Fahrtkosten.

Wer in der einen oder anderen Dienststelle immer noch glaubt oder hofft, die Jugend-und Auszubildendenvertretungen (JAV) lassen sich mit ein paar warmen Worten abspeisen oder gar ihren Schneid abkaufen, der sollte einen genauen Blick auf die beiden Gremien werfen, die 2021 mit dem DGB-Sonderpreisauf dem Schöneberger Forum in Berlin ausgezeichnet wurden. Die jungen Interessenvertreter:innen sorgten mit ihren Projekten nicht nur für großen Beifall, als sie ihre Preise erhielten. Ihr beispielhaftes Engagement zeigt Wirkung und das zum Teil auch weit über die jeweilige Dienststelle hinaus.

Übernahme – ohne Wenn und Aber

Nicht nur, aber auch bei der Stadt Nürnberg ist seit Langem ein klarer Trend zu beobachten: Die Konkurrenzsituation zwischen den  Ausbildungsbetrieben um Fachkräfte hat enorm zugenommen. Ausbildungsplätze – auch im öffentlichen Dienst – bleiben immer häufiger unbesetzt. Zur Verbesserung der Chancen bei der Suche nach Azubis werben eine Vielzahl von Unternehmen offensiv mit einer  Übernahmegarantie und haben so einen deutlichen Vorteil gegenüber öffentlichen Arbeitgebern. Dies gilt auch für die Fränkische Metropole, bei der seit dem Jahr 1984 lediglich eine bedarfsunabhängige sechsmonatige Übernahme aller gewerblichen Auszubildenden geregelt war. Diese Regelung wurde damals vor dem Hintergrund dramatisch ansteigender Arbeitslosigkeit getroffen. Eine komplett andere Ausgangssituation als aktuell. Das Gremium forderte daher 2019 zusammen mit dem Gesamtpersonalrat die Stadt Nürnberg auf, alle Auszubildende bei entsprechender Eignung zu übernehmen. Etwa 650 bis 700 junge Menschen befinden sich hier laufend in der Ausbildungsphase. Sollten unmittelbar nach Ende der Ausbildung keine adäquaten Stellen zur Verfügung stehen, sei trotzdem eine Übernahme im erlernten Beruf mit entsprechender Eingruppierung zu gewährleisten. Diese Appelle blieben jedoch zunächst ohne Wirkung. Die Stadt hielt an ihrer Linie fest. Für die Mitglieder der GJAV jedoch kein Grund, die Flinte ins Korn zu werfen.

Auf Öffentlichkeit setzen

Sie setzten das Thema in allen Gesprächen mit der Stadtspitze auf die Agenda und kontaktierten mehrma ls die verschiedenen Stadtratsparteien. Parallel dazu führten sie verschiedene Maßnahmen durch. Dazu zählt beispielsweise die vielbeachtete Aktion »Ich möchte übernommen werden, weil …«. Hierbei wurden die Azubis aufgefordert, auf vorbereiteten Zetteln ihre Argumente einzutragen. Aus den mehr als 300 Rückläufern erstellen die jungen Interessenvertreter:innen eine Girlande, die sie aufmerksamkeitsstark vor dem Büro des Nürnberger Oberbürgermeisters platzierten. Gemeinsam mit dem Gesamtpersonalrat verfasste die GJAV eine Gegendarstellung zur Argumentationslinie der Verwaltung, um deren Aussagen zu entkräften und richtigzustellen. Zuvor hatten sie sich intensiv mit den Pros
und Kontras auseinandergesetzt, Argumente gesammelt, belastbare Zahlen recherchiert und zusammengestellt und sich so fit für die Diskussionen auf Augenhöhe gemacht. Im Personal- und Organisationsausschuss wurde schließlich im Mai 2021 einstimmig beschlossen, dass die Verwaltung der Stadt Nürnberg ab dem Ausbildungsbeginn 2023 allen Azubis die unbefristete Übernahme bei bestandener Prüfung und persönlicher Eignung garantiert. Im Zuge dessen passt die Verwaltung auch die Anzahl der Ausbildungsstellen an den jeweiligen Bedarf an.

100% Fahrtkostenerstattung

Um zu den einzelnen Standorten bzw. Ausbildungs-/ Lehrstätten zu kommen, müssen die Auszubildenden und Dual Studierenden der AOK Baden-Württemberg oft lange Wege zurücklegen. Diese Reisekosten werden jedoch nur zu 50% von der Arbeitgeberin erstattet, in anderen Bundesländern dagegen teils bis zu 100%. Die GJAV setzte sich daher zum Ziel, eine vollständige Erstattung zu erreichen. Der Versuch der GJAV, dies über den Tarifvertrag zu regeln, blieb jedoch erfolglos. Ohne Ergebnis blieben auch Verhandlungen mit der Arbeitgeberin. Diese verwies darauf, dass dafür das Landesreisekostengesetz (LRKG) geändert werden müsste. Die GJAV strebte daher eine Gesetzesänderung an und ging aktiv auf die Mitglieder des Landtags Baden-Württemberg zu. In einem Schreiben informierte sie über die belastende Lage für Azubis und Dual Studierende und forderte dazu auf, das LRKG zu ändern. Auf regionaler Ebene wurde das Schreiben von der JAV des jeweiligen Wahlkreises signiert. Es gab zudem individuelle Gespräche mit regionalen Politikern und weiteren JAVen im Öffentlichen Dienst Baden-Württembergs, um diese zu motivieren, sich an der Aktion zu beteiligen und ebenfalls Druck aufzubauen. Im November 2020 wurde die GJAV dann darüber informiert, dass das Gesetz zeitnah in den Landtag Baden-Württembergs kommen wird. Im selben Monat wurde eine Fotoaktion der GJAV und ver.di (»Wir wollen 100 %!«– 5 Fragen an die Politik) unter Beteiligung von über 150 Auszubildenden und Dual Studierenden organisiert.

Gesetzesänderung erreicht

Die Hartnäckigkeit der GJAV hat sich ausgezahlt: Im Dezember 2020 folgte eine Anhörung im Landtag Baden-Württemberg, bei der dem Anliegen der GJAV stattgegeben wurde. Das novellierte LRKG ist seit Januar 2022 in Kraft und Auszubildende und Dual Studierende in Baden-Württemberg haben jetzt einen Anspruch auf eine 100%ige Reisekostenerstattung. Diese Novellierung gilt landesweit und damit auch für die Azubis und Dual Studierenden in anderen Gemeinden und Kommunen.

Christof Herrmann,
Kommunikationsberater mit den Themen Arbeit, Recht und Wirtschaft, Aachen.
kommunikation@sc-herrmann.de

► Zum Beitrag "Pfiffig und auf Augenhöhe" in: Personalrat 2/2022, S. 30f.

► Mehr Infos zu den Projekten: GJAV Nürnberg und GJAV AOK Baden-Württemberg

 

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