Starke Mitbestimmungsrechte im Arbeitsschutz nutzen

Ein gutes Gesetz macht noch keine gute Praxis. Die Interessenvertretungen müssen ihre Rechte auch konsequent nutzen, umsetzen und notfalls arbeitsgerichtlich durchsetzen. Wie das genau geht, erfahren Interessierte von Manfred Wulff in »Gute Arbeit« 12/2021.
Im Arbeitsschutz sind vor allem ausfüllungsbedürftige Rahmenvorschriften geregelt, die durch betriebliche Regelungen konkretisiert werden müssen: etwa per Betriebsvereinbarung oder in einem Tarifvertrag. Mit dem ArbSchG in Verbindung mit dem Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) ist 1996 ein neues Mitbestimmungsfeld entstanden.
Die Mitbestimmung nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG ist immer dann gegeben, wenn Rahmenvorschriften bestehen, die unmittelbar oder nur mittelbar dem Gesundheitsschutz dienen (BAG 18.7.2017 – 1 ABR 59/15, NZA 2017, 1615). Sowohl das ArbSchG als auch die Verordnungen (z.B. die Arbeitsstättenverordnung, die Gefahrstoffverordnung etc.) oder die (seit 2020) pandemiebedingt vom Bund und den Ländern erlassenen SARS-CoV-2-Arbeitsschutzregelungen, sind in der Regel ausfüllungsbedürftige Rahmenvorschriften und bedürfen der mitbestimmten konkreten Regelung, um betrieblich zu wirken.
Gefährdungen und Gefährdungsbeurteilung
Ausgangspunkt im Arbeits- und Gesundheitsschutz sind seit 1996 die (möglichen) Gefährdungen; zudem sind die Arbeitsbedingungen seither nicht mehr nur selektiv zu betrachten, wie z.B. der Lärm oder die Zwangshaltung bei der Arbeit, sondern das Zusammenwirken der einzelnen Arbeitsbelastungen ist ganzheitlich zu bewerten – am einzelnen Arbeitsplatz. Die Auswirkungen der Belastungen und Gefährdungen auf die Beschäftigten und ihre (körperliche sowie psychische) Gesundheit sowie ihr Wohlbefinden sind zu beurteilen.
Der zentrale Baustein im Arbeitsschutz ist die (vollständige) Gefährdungsbeurteilung (§ 5 ArbSchG), mit der die Belastungen aufgrund der technischen, physikalischen und körperlichen Arbeitsbedingungen als auch der psychischen Faktoren ermittelt werden. Diese Aufgabe ist als ein dauernder Prozess zu verstehen. Es geht also nicht um eine einmalige »Begehung der Arbeitsplätze«. Die Gefährdungsbeurteilung besteht vielmehr aus sieben Prozessschritten, die in bestimmten zeitlichen Abständen (alle zwei/drei Jahre) oder nach Anlass (Änderung der Arbeitsmittel, Pandemie, Schwangerschaft, neue Abläufe etc.) wiederholt werden. Die Prozessschritte im Überblick:
- Das Sammeln der vorhandenen Daten und Informationen zum Arbeitsschutz und das Festlegen der zu untersuchenden Arbeitsbereiche und Tätigkeiten
- die Ermittlung der Gefährdungen
- das Beurteilen der Gefährdungen
- das Festlegen konkreter Arbeitsschutzmaßnahmen nach dem aktuellen Stand der Technik, Hygiene und Arbeitsmedizin unter Beachtung der Rangfolge der Schutzmaßnahmen nach § 4 ArbSchG (S/TOP-Prinzip)
- das Umsetzen der Maßnahmen
- die Überprüfung der Wirksamkeit
- und die regelmäßige Wiederholung des Prozesses, der nachvollziehbar dokumentiert werden muss.
Aufgaben für Betriebsräte
Mittlerweile ist es unstrittig, dass der Betriebsrat nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG nicht nur bei der Regelung der Gefährdungsbeurteilung mitzubestimmen hat, sondern auch bei den oben genannten sieben Prozessschritten. Dabei sollte die Regelung der Gefährdungsbeurteilung immer dem Ziel dienen, die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten durch das Festlegen von Arbeits- und Gesundheitsschutzmaßnahmen zu verbessern.
Und diese Maßnahmen beschränken sich, wie der Katalog des § 5 Abs. 3 ArbSchG zeigt, nicht nur auf die Durchsetzung von besseren Arbeitsmitteln (z.B. leisere Maschine, höhenverstellbarer Schreibtisch, Hebewerkzeuge usw.), sondern auch auf die Änderung der Arbeitsorganisation und der Arbeitsabläufe, ebenso auf die Verbesserung der Qualifikation der Beschäftigten.
Weitere Informationen
Den umfassenden Beitrag von Manfred Wulff »Arbeitsschutz, das zentrale Mitbestimmungsfeld« im Titelthema »Gute Arbeit« 12/2021 lesen (S. 14 ff.). Außerdem im Titelthema der Ausgabe »25 Jahre Arbeitsschutzgesetz – Die Schutzlücke endlich schließen«:
- Ludger Michels: »Ein Meilenstein für die Prävention« (S. 8 ff.). Hier gibts den Beitrag für Abonnenten.
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