Mitbestimmung

Pandemie: Der Betriebsrat bestimmt im Arbeitsschutz mit

07. Mai 2020 Corona, Arbeitnehmerrechte
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Quelle: pixabay

Zurück zur Arbeit nach der Betriebsschließung: Erste Arbeitsgerichtsurteile stoppen Arbeitgeber, die Beschäftigte ohne Beteiligung des Betriebsrats zur Arbeit rufen, dabei die Mitbestimmungsrechte etwa bei Kurzarbeit und im Arbeitsschutz missachten. Rechtsanwalt Manfred Wulff ordnet die aktuelle Rechtsprechung in der Zeitschrift »Gute Arbeit« ein.

Aktuell werden viele Beschäftigte nach einer (teilweisen) Betriebsschließung wieder zur Aufnahme ihrer Tätigkeit in ihre Unternehmen einbestellt. Mehrere erstinstanzliche Entscheidungen verneinen, dass der Arbeitgeber in der Pandemie die Beschäftigten zur Arbeit heranziehen kann, ohne die Mitbestimmung im Arbeitsschutz, bei den Dienstplänen und bei der Umsetzung der Kurzarbeit zu beachten. Das ist aber in einigen Betrieben passiert.

Der Fall: Worum es geht

Das Arbeitsgericht Neumünster (28.4.2020 – 4 BVGa 3a/20) hat topaktuell auf Antrag eines Betriebsrats (BR) in einem einstweiligen Verfügungsverfahren entschieden: Der Arbeitgeber darf Beschäftigte nicht zur Arbeitsleistung heranziehen, bevor eine Einigung mit dem Betriebsrat über die Dienstpläne (§ 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG), über die Umsetzung der Kurzarbeit (§ 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG), über die Durchführung einer Gefährdungsbeurteilung (§ 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG) und über die zu ergreifenden Arbeits- und Gesundheitsschutzmaßnahmen (§ 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG) erzielt wurde. Deshalb wurde der Betrieb wieder geschlossen und der Arbeitgeber gezwungen, Verhandlungen mit dem Betriebsrat aufzunehmen.

Das Arbeitsgericht Neumünster hat wie bereits andere Arbeitsgerichte (Arbeitsgericht Berlin 27.4.2020 – 46 AR 50030/20; Arbeitsgericht Stuttgart 28.4.2020 – 3 BVGa 7/20) entschieden. Die Verletzung der Betriebsratsrechte im Arbeits- und Gesundheitsschutz hat zur Folge, dass einseitigen Maßnahmen des Arbeitgebers unterbunden werden.

Präventive Ausrichtung des Arbeitsschutzrechts

Begründung: Das hohe Infektionsrisiko durch SARS-CoV-2 sei eine hohe Gefährdung der Gesundheit, die nur durch wirksame Schutzmaßnahmen gemindert werden kann und muss. Diese Maßnahmen sind vor Aufnahme der Tätigkeit der Beschäftigten mit dem Betriebsrat zu vereinbaren. Die Mitbestimmung leitet sich ab aus dem § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG in Verbindung mit dem § 3 Abs. 1 Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG): Danach besteht eine Handlungspflicht des Arbeitgebers, Maßnahmen zur Verhütung von Gesundheitsschäden zu ergreifen.

Eine derartige Handlungspflicht sah z.B. auch das Arbeitsgericht Berlin in seiner Entscheidung vom 27.4.2020 (s.o., Bezug auf § 8 BioStoffV): Der Arbeitgeber hat vor der Aufnahme der Tätigkeit Gesundheitsschutzmaßnahmen zur Abwendung oder Minderung des Infektionsrisikos zu treffen. Da mit der Arbeitsaufnahme die Infektionsgefahr unmittelbar besteht und der Zweck der Mitbestimmung des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG dem Schutz der Gesundheit dient, muss der Betriebsrat diese Rechtsverletzung nicht hinnehmen; ein Abwarten bis zu einer Entscheidung in einer Einigungsstelle wäre nicht verhältnismäßig.

Praxis-Tipp

In einer Pandemie bestehen neben den typischen arbeitsbedingten Gefährdungen für die Gesundheit der Beschäftigten auch eine soziale Verunsicherung und Infektionsrisiken. Die Wahrnehmung der Beteiligungs- und Initiativrechte im Arbeits- und Gesundheitsschutz durch den Betriebsrat ist ein wichtiger stabilisierender Faktor. Zur Aufgabe des Betriebsrats gehört es, dafür zu sorgen, dass die von unterschiedlichen (staatlichen) Stellen (RKI, BG usw.) empfohlenen Gesundheitsschutzmaßnahmen mitgestimmt und arbeitsschutzrechtlich wirkungsvoll umgesetzt werden. Übergeht der Arbeitgeber diese Rechte, kann er mit einer einstweiligen Verfügung gestoppt werden.

Weitere Informationen

Service vorab für die Leser*innen des Bund-Verlags und der »Gute Arbeit«: Der Beitrag von Manfred Wulff zur aktuellen Rechtsprechung erscheint als »Expertenrat« in der Ausgabe »Gute Arbeit« 6/2020 (S. 40). Schon jetzt zur Pandemie in der Ausgabe »Gute Arbeit« 5/2020 lesen:

  • Arbeitsschutz und Arbeitsgestaltung: »Aus der Corona-Krise lernen« von Prof. Dr. Wolfhard Kohte (S. 21-25).
  • Fragen und Antworten: »FAQs: Corona-Krise aus Arbeitnehmersicht« von Rechtsanwalt Manfred Wulff (S. 26-29).
  • Titelthema der Ausgabe: »Berufskrankheitenrecht – Was bei der Reform besser werden muss« (S. 8-16, drei ausführliche Beiträge).

Für die Online-Ausgabe registrierte Abonnent(inn)en von »Gute Arbeit« greifen im Archiv kostenfrei auf alle Beiträge der Zeitschrift zu (ab Ausgabe 1/2012).

© bund-verlag.de (be)

Quelle

ArbG Neumünster (28.04.2020)
Aktenzeichen 4 BVGa 3a/20
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