Den Arbeitsstress in der Pandemie angehen

Hier Auszüge aus dem umfassenden Interview mit Professor Nico Dragano, das im Titelthema 6/2021 von »Gute Arbeit« mit weiteren Beiträgen zu lesen ist:
Sie haben die psychosozialen Effekte der Pandemie untersucht. Was hat sich an den Arbeitsplätzen geändert?
Bereits vor der Pandemie gab es hohe psychische Belastungen: Ich nenne nur die Schlagworte Globalisierung, Digitalisierung und Transformation, die als »klassische« Arbeitsbelastungen zwar breit diskutiert, aber immer noch zu wenig bekämpft werden. Das Tempo bei der Umsetzung und die Verbreitung modernster IT-Technik hatte schon vor der Corona-Krise die Arbeitsintensität in vielen Branchen erhöht. In dieser angespannten Situation ist eine gefährliche Erkrankung in Form einer Pandemie aufgetreten und hat die Verhältnisse nochmals auf den Kopf gestellt.
Beschäftigte reagieren permanent auf Neues, sind sozial isolierter, haben Angst vor einer tückischen Krankheit. Wie wirkt das?
Dieses »Paket« hat von heute auf morgen Millionen Menschen getroffen und verunsichert. Sie fanden sich teils unvorbereitet und ohne betriebliche Ausstattung im Homeoffice wieder. Viele mussten und müssen trotz erheblicher Angst vor einer Infektion tagtäglich zur Arbeit gehen und in öffentlichen Verkehrsmitteln pendeln. Wer erkrankt war, fürchtete oder erlebte sogar soziale Stigmatisierung.
Die Kommunikation in Büros oder Verwaltungen wurde teils komplett auf digitale und für die Beschäftigten neue Technik umgestellt. Viele Beschäftigten haben Überforderung, Stress und negative Belastungen erlebt - und oft auch körperlich wahrgenommen. Die Belegschaften haben unter widrigen Bedingungen alles am Laufen gehalten, sie wollten Firmen und Arbeitsplätze retten. Zum hohen Arbeitspensum – bei geringeren Ressourcen und eingeschränkten Bedingungen – kamen Existenz- und Zukunftsangst.
Was schlagen Sie und das Kompetenznetz Public Health COVID-19 zum Managen psychischer Arbeitsbelastungen vor?
Es geht um bekannte betriebliche Aufgaben der Gesundheitsförderung: Das Management psychischer Arbeitsbelastungen ist ein zentraler Bestandteil des Arbeits- und Gesundheitsschutzes, denn diese Belastungen sind Risikofaktoren für zahlreiche Erkrankungen wie Depressionen, Herzkrankheiten, Probleme im Muskel- und Skelett-Apparat durch Verspannungen und vieles mehr. Die Beschäftigten sind davor aktuell zu schützen, aber ihre Arbeitsfähigkeit und Gesundheit muss auch langfristig erhalten werden.
Wir empfehlen dringend die Beurteilung der psychischen Arbeitsbelastungen an allen Arbeitsplätzen einschließlich der Arbeit im Homeoffice. Die Verlagerung der Arbeit in den privaten Bereich gehört an sich schon zu den akuten Arbeitsplatz-Eingriffen: Auf sich gestellt arbeiten, technische Störungen handhaben, eine wachsende Intransparenz erleben, schlechte Bedienbarkeit von Hard- und Software, Überkomplexität der Arbeitsaufgaben. Grundsätzlich ist jede Änderung des Arbeitsplatzes ein Anlass, die Gefährdungsbeurteilung auch der psychischen Belastungen zu aktualisieren.
Eckpunkte: Pandemie und Technostress
Typische psychische Belastungsfaktoren, die aktuell vermehrt aufgetreten sind:
> techno-overload: mehr und schneller arbeiten dank IKT
> techno-compexity: Überforderung durch komplexe Systeme, Prozesse oder Kommunikationsvorgänge
> techno-unreliability: Belastung durch Unzuverlässigkeit der Technologien
> techno-invasion: Entgrenzung der Arbeit durch mobile Devices (Arbeitsmittel)
> techno-insecurity: Angst vor Verlust des Arbeitsplatzes bzw. des Status Quo aufgrund von Robotik/Digitalisierung des Arbeitsbereichs
> Überwachungstechnik: Autonomieverluste durch Überwachung
> techno-uncertainity: chronischer technischer Wandel erzeugt chronische Unsicherheit
> Mensch-Maschine-Interaktion: neue psychische Belastungen in der Zusammenarbeit Mensch und Maschine.
Weitere Informationen
Das ausführliche Interview mit Prof. Dr. Nico Dragano: Titelthema »Gute Arbeit« 6/2021 (S. 8-11). Außerdem in der Ausgabe im Titelthema lesen:
- Prof. Dr. Simon Nestler: »Digitalisierung nach der Pandemie« (S. 13-16).
- Eva Aich: »Gefährdungen durch Arbeitsintensität« (S. 17-20).
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