Hungerlohn ist sittenwidrig
Der Betreiber einer Pizzeria in Brandenburg zahlte nur 3,40 EUR pro Arbeitsstunde an eine Fahrerin, die an 35 bis 40 Stunden pro Monat Speisen und Getränke an die Kunden auslieferte. Zusätzlich erhielt sie Leistungen nach dem SGB II durch das Jobcenter, um das Einkommen aufzustocken.
Hätte der Arbeitgeber einen höheren Stundenlohn gezahlt, wären die weiteren Sozialleistungen gar nicht oder zumindest in geringerem Umfang erforderlich gewesen. Daher klagte das Jobcenter auf Zahlung von mehr als 5.000,- EUR für die Jahre 2011 bis 2014. Ein Stundenlohn von 3,40 EUR weicht erheblich von einer üblichen Vergütung in vergleichbaren Betrieben ab.
Das Gericht kommt zu dem Ergebnis, dass die Arbeitnehmerin von diesem Lohn nicht leben konnte, selbst wenn sie in Vollzeit gearbeitet hätte. Eine entsprechende Vereinbarung ist sittenwidrig und damit unwirksam. Der Auslieferungsfahrerin hätte vielmehr ein Anspruch auf die übliche Vergütung zugestanden.
Für die Beurteilung, welcher Arbeitslohn sonst gebräuchlich ist, wurden die Erhebungen des statistischen Landesamtes herangezogen. Da sich der Fall vor Einführung des gesetzlichen Mindestlohns abspielte, kam es auf die seit 1.1.2015 Jahr gültige Untergrenze nicht an.
Dem Urteil liegt ein Sachverhalt zugrunde, der nach Einführung des gesetzlichen Mindestlohns keine Rolle mehr spielen dürfte. Mittlerweile ist es sehr einfach, einen sittenwidrigen Lohn festzustellen. Bis auf wenige im MiLoG geregelte Ausnahmen, ist eine Entlohnung unterhalb von 8,50 EUR rechtswidrig. Ein aufwendiger Vergleich mit Tariflöhnen ist nicht mehr erforderlich.
Im Rahmen ihrer allgemeinen Überwachungspflichten sollten Betriebsräte regelmäßig prüfen, ob die gültigen Bestimmungen zur Entlohnung der Beschäftigten durch den Arbeitgeber eingehalten werden. Dies gilt für Tarifverträge und seit dem 01.01.2015 auch für das MiLoG. Zu diesem Zweck hat der Betriebsrat das Recht, Einsicht in die Lohnlisten zu nehmen.
Wird ein Verstoß festgestellt, kann er den Arbeitgeber zur Einhaltung der Normen auffordern. Um tarifliche Ausschlussfristen einzuhalten, kann er weiterhin im Namen der Beschäftigten den ausstehenden Lohn schriftlich geltend machen.
Den Gang zum Arbeitsgericht müssen die betroffenen Arbeitnehmer hingegen selbst unternehmen, allerdings mit Unterstützung durch den Rechtsschutz der Gewerkschaften. Weigert sich der Arbeitgeber hartnäckig die rechtlichen Bestimmungen einzuhalten, kann die zuständige Aufsichtsbehörde informiert werden.
Zusätzlich besteht ein gesetzliches Mitbestimmungsrecht bei den Fragen der betrieblichen Lohngestaltung. Hierbei geht es um die Gestaltung von Grundsätzen der Entlohnung, angefangen von einem differenzierten Entgeltsystem bis zu Entgeltgruppen mit Wertunterschieden nach Prozentpunkten. Zu beachten ist jedoch, dass es den Tarifparteien vorbehalten ist, die tatsächliche Höhe der zu zahlenden Löhne festzulegen.
Lesetipp:
»Mindestlohn und Betriebsrat« von Huber/Helm in
»Arbeitsrecht im Betrieb« 3/2016, S. 43-46.