Eine Gewerkschaft braucht gewisses Maß an Durchsetzungskraft

Eine Vereinigung von Beschäftigten in der privaten Versicherungsbranche hatte Verfassungsbeschwerde eingelegt, nachdem das zunächst angerufene LAG die Tariffähigkeit nicht festgestellt hatte. Diese Verfassungsbeschwerde hat das BVerfG allerdings nicht zur Entscheidung angenommen.
Es fehlt bereits an der Zulässigkeit
Die Verfassungsbeschwerde ist mangels einer den gesetzlichen Anforderungen genügenden Begründung unzulässig, so das BVerfG. Der gerügte Verstoß gegen das Rechtsstaatprinzip liege nicht vor - das Verfahrensgrundrecht des Art. 103 Abs. 1 GG sichere den Zugang zu Gerichten und das rechtliche Gehör, jedoch garantiere die Verfassung keinen Instanzenzug. Der Gesetzgeber legt fest, ob eine oder mehrere Instanzen entscheiden sollen.
Allein die Hoffnung Beteiligter auf eine Veränderung der Tatsachenlage zu eigenen Gunsten während eines Statusfeststellungsverfahrens und über mehrere Instanzen hinweg wird durch Art. 103 Abs. 1 GG nicht geschützt. Zudem könne über die Tariffähigkeit einer Vereinigung auch nach einer rechtskräftigen Entscheidung bei einer wesentlichen Veränderung der relevanten Tatsachen erneut entschieden werden.
Bewertung anhand von Größe und Durchschlagskraft zulässig
Das BVerfG sieht auch keine Verletzung der Koalitionsfreiheit, Art. 9 Abs. 3 GG. Weder das Grundgesetz noch das Tarifvertragsgesetz regeln ausdrücklich, wann eine Arbeitnehmerkoalition als Gewerkschaft anzusehen ist. Dies wird von den Arbeitsgereichten erarbeitet, die Voraussetzungen für die Tariffähigkeit formulieren. Es widerspreche diesem Grundrecht nicht, wenn beispielsweise Splittervereinigungen ausgeschlossen würden. Das LAG durfte davon ausgehen, dass die Beschwerdeführerin keine tariffähige Gewerkschaft im Sinne des § 2 Abs. 1 TVG ist.
Entscheidend sind dabei dem BVerfG zufolge Größe und Zusammensetzung der Vereinigung. Ohne eine gewisse Geschlossenheit und Durchsetzungskraft wäre eine Arbeitnehmervereinigung vom guten Willen der Arbeitgeberseite und anderer Arbeitnehmerkoalitionen abhängig und könnte den Aufgaben der Tarifautonomie nicht gerecht werden, führt das BVerfG aus. Denn die Zahl der organisierten Arbeitnehmer bestimme die Verhandlungsfähigkeit einer Koalition, deren finanzielle Ausstattung und organisatorische Leistungsfähigkeit.
Ohne Druck keine Tarifverhandlungen
Vor allem aber gibt die Mitgliederzahl Aufschluss darüber, ob eine Vereinigung hinreichenden Druck bei Tarifverhandlungen aufbauen kann. Die Annahme des LAG, dass sich aus einem Organisationsgrad von nicht mehr als 0,05 Prozent unter Berücksichtigung der konkreten Zusammensetzung der Vereinigung keine hinreichende Durchsetzungsfähigkeit gegenüber dem sozialen Gegenspieler ergibt, ist laut Karlsruher Richter nachvollziehbar.
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Quelle
Aktenzeichen 1 BvR 1/16