Covid-19

Impfunfähigkeit: Rechtfertigt Fake-Bescheinigung eine Kündigung?

28. Februar 2023
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Quelle: wwwpixabay.com/de

Im Zuge der »einrichtungsbezogenen Impfpflicht« hatten Beschäftigte in Klinikenn ihren Arbeitgebern eine im Internet angebotene "Bescheinigung der Impfunfähigkeit" vorgelegt. Allerdings sind sich die Gerichte uneinig, ob dies eine fristlose Kündigung rechtfertigt, darunter zwei Kammern des LAG Schleswig-Holstein. Nun muss das Bundesarbeitsgericht entscheiden.

Darum geht es

Die Klägerinnen sind bei der beklagten Klinik seit 1988 bzw. 2001 als Pflegeassistentin bzw. Krankenschwester beschäftigt und tariflich ordentlich unkündbar. Ihre Arbeitgeberin wollte die einrichtungsbezogene Impfpflicht umsetzen und wies ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an, den Impf- bzw. Genesenenstatus nachzuweisen oder ein ärztliches Impfunfähigkeitszeugnis vorzulegen.

Die Klägerinnen haben daraufhin jeweils ein Schriftstück vorgelegt, das eine sechsmonatige vorläufige Impfunfähigkeit bescheinigt und die Unterschrift einer Ärztin aus Süddeutschland ausweist. Die Bescheinigung wurde aus dem Internet ausgedruckt. Eine Besprechung mit der Ärztin fand nicht statt, auch nicht als »digitale Beratung«.

Die Arbeitgeberin hatte das Gesundheitsamt über die Vorgänge informiert und außerdem den Pflegerinnen im Januar 2022 fristlos, hilfsweise ordentlich zum 31. August 2022/31. Juli 2022 gekündigt.

In ihren Kündigungsschutzklagen führen die Klägerinnen u.a. aus, dass die Vorlage einer solchen Bescheinigung nicht zu beanstanden sei und § 20a Infektionsschutzgesetz (IFSG in der * weitere arbeitsrechtliche Maßnahmen der Arbeitgeberin gegenüber ihren Beschäftigten ausschlösse. Allein das Gesundheitsamt könne in dieser Situation handeln und eine ärztliche Untersuchung der betroffenen Mitarbeiterin veranlassen.

Das Arbeitsgericht Lübeck hielt in einem Fall eine außerordentliche Kündigung der Mitarbeiterin mit sozialer Auslauffrist für rechtlich zulässig (5 Ca 189/22). Eine andere Kammer gab der Kündigungsschutzklage in vollem Umfang statt (4 Ca 188/22).

Das sagt das Gericht

Auch in der Berufungsinstanz haben zwei Kammern des Landesarbeitsgerichts (LAG) über die beiden Fälle mit unterschiedlichem Ausgang entschieden: Die vierte Kammer hält in ihrer Entscheidung die fristlose Kündigung des langjährigen Arbeitsverhältnisses auch nach der Interessenabwägung im Einzelfall für gerechtfertigt (LAG Schleswig-Holstein 24.11.2022 - 4 Sa 139/22).

Die fünfte Kammer ist dagegen der Auffassung, die Vorlage der aus dem Internet heruntergeladenen vorläufigen Impfunfähigkeitsbescheinigung sei schon kein „an sich“ geeigneten Grund für eine außerordentliche Kündigung (LAG Schleswig-Holstein 7.12.2022 - 5 Sa 82/22).

Beide Entscheidungen des Landesarbeitsgerichts halten zunächst fest, dass § 20a IFSG in der zum Zeitpunkt des Kündigungszugangs geltenden Fassung den Arbeitgeber nicht daran hindern, wegen Vorlage unrichtiger Impfunfähigkeitsbescheinigungen arbeitsrechtliche Maßnahmen zu ergreifen.

§ 20a IFSG regele in Abs. 5 die Handlungsmöglichkeiten des Gesundheitsamts, nicht aber die des Arbeitgebers. Nach beiden Entscheidungen verstößt eine im Krankenhaus arbeitende Arbeitnehmerin mit der Vorlage einer aus dem Internet heruntergeladenen Bescheinigung über eine Corona-Impfunverträglichkeit, die weder auf einer ärztlichen Untersuchung noch einer individuellen ärztlichen Beratung beruht, gegen eine gesetzlich geregelte Nebenpflicht aus ihrem Arbeitsvertrag.

Rechtfertigt der Verstoß die Kündigung?

Die Kammern bewerten allerdings die Schwere dieses Pflichtenverstoßes unterschiedlich.

Vierte LAG-Kammer: Zerstörtes Vertrauensverhältnis

Die vierte Kammer argumentiert, dass mit der vorgelegten Impfunfähigkeitsbescheinigung bewusst ein falscher Eindruck erweckt werden sollte. Der Versuch der Klägerin, ihre gesetzliche Nebenpflicht zur Vorlage einer Impfunfähigkeitsbescheinigung zu umgehen, wirke sich besonders belastend auf das Arbeitsverhältnis und gravierend auf das Vertrauensverhältnis aus.

Die Verwendung der aus dem Internet heruntergeladenen Bescheinigung stellt sich als »unrechtmäßiges Mittel« dar, um sich vorübergehend der Verpflichtung nach § 20a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 IFSG zu entziehen. Diese Vorschrift sichert ein überragendes Gut, die öffentliche Gesundheit.

Ein Arbeitgeber müsse sich in diesem Zusammenhang nicht auf eine vorherige Abmahnung verweisen lassen. Zudem ergäben sich im konkreten Fall auch keine gesundheitlichen Anhaltspunkte, aufgrund derer die Klägerin hätte befürchten müssen, an Impfnebenfolgen zu erleiden.

Fünfte LAG-Kammer: Fake-Bescheinigung rechtfertigt keine Kündigung

Die fünfte Kammer des Landesarbeitsgerichts hält dagegen die Vorlage der „Fake-Impfunfähigkeitsbescheinigung“ bereits für keine schwerwiegendeNebenpflichtverletzung, die für eine Kündigung geeignet ist.

Eine solche ergebe sich auch nicht aus einem zu Lasten des Arbeitgebers begangenen Betrugsversuch. Es fehle an einem Vermögensschaden und im Übrigen am Vorsatz der Klägerin, die an ihre Impfunfähigkeit glaubte. Auch die versuchte Täuschung, das vorgelegte Attest sei aufgrund einer ärztlichen Untersuchung erstellt worden, reiche nicht aus.

Das vorgelegte Schreiben bescheinige keine diagnostizierte Impfunfähigkeit, sondern enthalte nur die allgemeine Meinungsäußerung einer Ärztin. Es ist als „Impfunfähigkeitsbescheinigung“ offensichtlich untauglich. Im Übrigen hätte es vor Ausspruch einer Kündigung jedenfalls einer Abmahnung bedurft.

Ausblick: BAG wird entscheiden

Die Entscheidungen des LAG sind beide noch nicht rechtskräftig. Beim Bundesarbeitsgericht (BAG) sind inzwischen Revisionen eingelegt worden unter den Aktenzeichen 2 AZR 55/23 (4 Sa 139/22) und 2 AZR 66/23 (5 Sa 82/22).

© bund-verlag.de (ck)

Quelle

LAG Schleswig-Holstein (24.11.2022)
Aktenzeichen 4 Sa 139/22 und 5 Sa 82/22
LAG Schleswig-Holstein. Pressemitteilung vom 23.2.2023
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